Die Angst vor einem Reförmchen

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Der Experte für den Bereich Lehrerausbildung, Michael Schratz, im Interview über eine Zusammenführung jetziger Einrichtungen, das Überwinden von traditionellem Ständedenken zwischen AHS- und Pflichtschullehrern und einen „Kulturbruch“ durch den Schulversuch Neue Mittelschule. Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Noch in dieser Legislaturperiode will Unterrichtsministerin Schmied die Lehrerausbildung neu aufstellen. Eine Expertenkommission erarbeitet zurzeit konkrete Vorschläge. Eines der Mitglieder, Michael Schratz, legt hier seine Privatmeinung dar.

Die Furche: Herr Professor Schratz, die Expertenkommission soll bis Jahresende Vorschläge vorlegen. Wird sich das ausgehen?

Schratz: Wir haben in unserer Kommission ja nicht bei Null angefangen, es gibt schon viele Entwicklungsstränge. Es fehlt nicht an analytischem Wissen, sondern an tatsächlichen politischen Entscheidungen.

Die Furche: Und die können auf sich warten lassen …

Schratz: Wir hoffen, dass es dann eine wirklich grundsätzliche Entscheidung gibt, die an die Wurzeln geht; und nicht wieder da ein Reförmchen und dort ein Reförmchen. Wir haben diese Reform schon lange hinausgeschoben, dadurch rücken wir auch international immer mehr nach hinten.

Die Furche: Wie soll die neue Lehrerausbildung Ihrer Meinung nach ausschauen?

Schratz: Es sollen alle Bildungsberufe zumindest einen ersten akademischen Abschluss haben.

Die Furche: Einen Bachelor-Abschluss …

Schratz: Durch die Bologna-Strukturen hat man die Möglichkeit zu einem vorgezogenen Abschluss: den Bachelor of Education. Die gesamte Vorschulpädagogik und die Sozialpädagogik sind darin aber noch nicht enthalten.

Die Furche: Ein noch heiklerer Punkt ist die zukünftige Ausbildung von AHS- und Pflichtschullehrern. Soll es eine gemeinsame Ausbildung geben?

Schratz: Wir sollten aus alten Fehlern lernen, und diese Fehler manifestieren sich auch in den zwei Ausbildungsinstituten. An den Universitäten ist das Fachliche von zentraler Bedeutung, das ist eine Überschätzung. An den Pädagogischen Hochschulen gibt es wiederum die Überschätzung, dass nur die Humanwissenschaften wichtig sind. Ein guter Mathematiker ist aber nicht automatisch ein guter Lehrer – und umgekehrt.

Die Furche: Was schlagen Sie vor?

Schratz: Es ist weder wissenschaftlich noch ökonomisch zielführend, das Ganze weiterhin parallel laufen zu lassen, sodass meine Vorstellung auf jeden Fall eine Zusammenführung beider Einrichtung bedeuten würde. Für mich heißt das aber nicht, dass das eine unmittelbar ins andere integriert werden muss. Da stecken ja bestimmte institutionelle Kulturen dahinter, die ihren Wert haben: Einerseits auf den Pädagogischen Hochschulen die Zugewandtheit zum Kind, andererseits an den Universitäten die Reflexionsfähigkeit. Beides hat im Lehrberuf einen sehr hohen Stellenwert.

Die Furche: Was würde dann aus den Pädagogischen Hochschulen?

Schratz: Die alten Einrichtungen kann es nicht mehr geben. Man muss Modelle überlegen, wie man diese Einrichtungen zusammenführen kann: Ich könnte mir vorstellen, dass es eine eigene pädagogische Universität gibt, so wie die medizinische Universität, oder dass es eine School of Education gibt so wie eine School of Management, die Teil der Universität ist.

Die Furche: Wie soll das Studium in der Praxis ausschauen?

Schratz: Es gibt zwei Philosophien: Zum Ersten: Jeder muss zunächst sein Fach studieren. Anschließend kann man dann einen Master of Education machen und die pädagogischen Kompetenzen für den Lehrberuf erwerben.

Die Furche: Und zum Zweiten …

Schratz: Das wäre jenes Modell, das wir mehr oder weniger jetzt haben: Das heißt, es werden von Anfang an alle vier Säulen – das Fach, die Fachdidaktik, Pädagogik und Schulpraxis – parallel studiert.

Die Furche: Welches Modell würden Sie favorisieren?

Schratz: An und für sich – von der fachlichen Durchdringung her – favorisiere ich das zweite Modell: Es ist gut zu wissen, ich werde Lehrer und alles, was ich im Fach lerne, möchte ich im pädagogischen Bereich anwenden. In der Praxis sehe ich aber Probleme: Es ist kaum bewältigbar, allen Ansprüchen gerecht zu werden, und es führt immer zu Kompromissen.

Die Furche: Was auch immer kommen wird, es werden sicher harte Widerstände, etwa von der Lehrergewerkschaft, zu erwarten sein.

Schratz: Wenn es zu einer Zusammenlegung von Lehrerbildungseinrichtungen käme, müsste das zu einem Personalabbau führen. Dass dann gewerkschaftliche Interessen eine Rolle spielen, ist ganz natürlich. Aber man sollte den Qualitätsgedanken in den Vordergrund rücken und nicht so sehr Besitzstandpunkte.

Die Furche: Laut Ministerin Schmied soll es noch in dieser Legislaturperiode eine neue Ausbildung geben …

Schratz: Es wird zielführende Vorschläge geben; ob sie politisch umgesetzt werden, liegt außerhalb meiner Reichweite. Ich wünsche mir von den politisch Verantwortlichen, dass sie über ihren ideologischen Schatten springen.

Die Furche: Es gab schon viele Kommissionen und gescheite Vorschläge, geworden ist daraus oft nichts.

Schratz: Die Treffen mit Ministerin Schmied und Minister Hahn machen mich eigentlich zuversichtlich, dass es eine günstige Zeit ist, tatsächlich grundsätzlich das Ganze anzugehen.

Die Furche: Sie sind auch wissenschaftlicher Begleiter der Neuen Mittelschule. Ihr erstes Resümee?

Schratz: Es hat hier schon ein Kulturbruch auf allen Ebenen stattgefunden. Zunächst durch das gemeinsame Unterrichten von AHS und Hauptschullehrern. Früher hat der eine vom anderen nichts gewusst und über den anderen oft geschimpft. Jetzt, wo sie auch gemeinsam unterrichten, sehen sie, welches Potenzial im jeweils anderen steckt. Ich würde mir wünschen, dass diese Ideologie-Behaftetheit, die in Österreich durch diese geschlossenen und getrennten Systeme in Ausbildung und Schule vorhanden ist, langsam aufgeweicht wird.

Die Furche: Es gibt aber nach wie vor die AHS, die abgegrenzt agieren. Fällt es da nicht schwer, von einem Kulturbruch zu sprechen?

Schratz: Der Kulturbruch findet in den Neuen Mittelschulen statt. Auch habe ich schon bemerkt, dass die Eltern sensibler werden und nicht mehr unbedingt ihr Kind ins Gymnasium bringen wollen, da es eine Alternative gibt, die den Schülern eine größere Zugewandtheit ermöglicht. Es bricht etwas auf, das vorher noch viel geschlossener war.

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