Moralisch fragwürdige Erinnerungsindustrie asdasdasd

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Was unter dem Deckmantel der Vergangenheitsbewältigung verkauft wird, ist nichts anderes als ein riesiger Etikettenschwindel.

Das Gedenken an den Holocaust wird systematisch ausgebeutet. Dies ist um nichts weniger beschämend als die Tatsache, dass die österreichische Beteiligung am größten Massenmord der Geschichte jahrzehntelang verdrängt worden war. Der Waldheimaffäre ist es zu verdanken, dass dieser Zustand endlich beendet werden konnte. Dass dadurch ein qualitativer Fortschritt im Umgang mit dem Holocaust erzielt wurde, ist jedoch eine krasse Fehleinschätzung. Die ursprünglich positive Debatte hat sich mittlerweile längst ins Gegenteil verkehrt. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit hat sich als lukratives Geschäft entpuppt und ist durch skrupellose Interessen beinahe gänzlich korrumpiert worden.

Das Grundübel besteht darin, dass die demonstrative Beschäftigung mit dem Holocaust - vor allem auf politischer Ebene - als Mittel benutzt wird, um sich den Anschein moralischer Integrität zu verschaffen. Wer moralisch sein will, der braucht nichts anderes tun, als mit ein paar flapsigen Worten den Holocaust zu bedauern und einmal pro Jahr einen Ausflug nach Mauthausen zu machen. (Solch ein Ausflug kommt billig, da Mauthausen von Wien aus - auch für eventuell mitreisende Kamerateams - gut erreichbar ist.) Politiker nutzen diesen Umstand weidlich aus, was mitunter in einen regelrechten Wettbewerb mündet.

Auf diese Weise erhält die Sache einen sportlichen Charakter: Wo hängen die meisten Gedenktafeln? Wer baut das höchste Mahnmal? Wer hat Schindlers Liste am öftesten gesehen? Wer hat Schindlers Liste nicht gesehen? ... Die Opfer sind längst Nebensache, wichtig ist die Inszenierung. Dabei kann man beobachten, wie publicity-geile Provinzpolitiker, drittklassige Schauspieler und sonstige Adabeis vor Mauthausen Schlange stehen und dort um die besten Plätze streiten. Auf Kosten von fünf Millionen Toten befriedigen sie hemmungslos ihre Lust zur Selbstdarstellung und spielen sich zur moralischen Instanz auf. Unter der tatkräftigen Mithilfe der intellektuellen Halbwelt werden diese Personen dann auch noch zum Gewissen der Nation hochstilisiert. Dabei wird eisern dem Prinzip gefolgt: Je hohler die Phrase, desto größer der Applaus.

Eine spezielle Facette der sogenannten Vergangenheitsbewältigung ist die Instrumentalisierung des Holocaust für die tagespolitische Auseinandersetzung. Will man dem politischen Gegner eins ans Zeug flicken, so schwingt man die Moralkeule und unterstellt ihm, dass er die Verbrechen der Nazis verharmlose. Auch wenn solche Unterstellungen (vor allem bei bestimmten Parteien) oftmals gerechtfertigt erscheinen, so sind ihre Motive zumeist fadenscheinig: Nicht die Opfer stehen im Zentrum, sondern die Diffamierung des politischen Kontrahenten. Wenn es um braune Flecken auf der eigenen Weste geht, so nimmt man die Sache nämlich nicht mehr ganz so genau.

Der Holocaust ist allgegenwärtig. Aber diese Allgegenwart beruht auf moralisch fragwürdigen Mechanismen und ist daher kontraproduktiv. Sie bewirkt keine Sensibilisierung, sondern das Gegenteil. Sie führt zur Abstumpfung und Gleichgültigkeit. Was unter dem Deckmantel der Vergangenheitsbewältigung verkauft wird, ist daher nichts anderes als ein riesiger Etikettenschwindel. Authentische Gefühle wie Trauer oder Mitleid können gar nicht empfunden werden, weil sie im Getöse der professionellen Holocaust-Wiederverwertung untergehen. Jeder Versuch eine Haltung zu finden, die sich jenseits von Verleugnung und Heuchelei bewegt, ist von vornherein chancenlos.

Nach mehr als einem halben Jahrhundert wird der Holocaust nicht mehr verdrängt. Das ist gut so! Aber Verdrängung ist nicht das einzige Übel - auch Leichenfledderei ist eine höchst ungustiöse Angelegenheit. Zu fordern ist nicht das Ende der Auseinandersetzung, sondern ihr Beginn.

Der Autor,

Jahrgang 1973, wissenschaftlicher Mitarbeiter am AKH Wien und hat im Juni dieses Jahres den Furche-Essaywettbewerb gewonnen.

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