Die Hungerzeichen der Zeit

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Vor 25 Jahren erschien eines der innovativsten Alben der Popgeschichte: Sign O’ the Times von Prince. In einer unerhörten Mischung aus Soul und Funk war da im Titelsong die Ungereimtheit der Welt herausgerbeitet: Aids, Drogentod, Bandenkriege in einer scheinbar absurden Welt: "A sister killed her baby because she couldn’t afford to feed it - And yet we’re sending people to the moon.“

Das mag nun ein gelehrter Politiker oder Ökonom vollkommen naiv finden, ein auf Jahrzehnte angelegtes Raumfahrtprogramm mit der Verzweiflungstat einer Hungernden gegenzurechnen - aber ganz so unzusammenhängend ist es dann wohl auch nicht. Dieser Tage stolpert man jedenfalls wieder über solche Widersprüchlichkeiten in den Weltläufen. Wenn wir etwa über den "Biosprit“ E10 nachdenken wollen, gibt es schon beim Kompositum "Bio“ ein ernstes Problem, weil seine Verwendung im Zusammenhang mit Benzin einen guten Teil der kritischen Öffentlichkeit auf die sprichwörtliche Palme treibt. Tatsächlich geht es aber nicht nur um den Sprit. Aktuell - also ohne E10-Produktion wandern nicht weniger als 30 Prozent der fünf Millionen Tonnen Getreideernte Österreichs in die "industrielle Weiterverarbeitung“ - erreichen also niemals den Nahrungskreislauf.

Kleister statt Brot

Solche Daten stören das gute Gewissen, zumal in Zeiten der Dürren und Missernten in weiten Teilen der Welt und Getreidepreissteigerungen von bis zu 50 Prozent für Mais und Soja. Die Welternährungsorganisation warnt bereits vor neuen Hungerkrisen in Teilen Afrikas und Asiens. Zugespitzt formuliert steckt die Nahrung, die dort fehlt, tonnenweise in Produkten wie Kleister, Abschmierfett, Hydrauliköl, Dämmmaterial, Wellpappe oder eben in Biotreibstoffen. Immerhin, so sagt der Landwirtschaftminister, bleiben bei der Ethanolproduktion Eiweißstoffe übrig, die zu Tierfutter verarbeitet werden können.

Dieses Argument, ebenso wie die Rechtfertigung, dass Österreich ohne E10 seine Klimaschutzziele nicht erreiche, werden zu Zynismen, wenn man sie mit dem Faktum verbindet, dass in Westafrika schon jetzt knapp 18 Millionen Menschen hungern.

Die Ressourcen-Illusion

Sie zeigen auch den verqueren Zugang der Industrienationen zum Thema Ressourcen: Die Illusion, dass fossile Brennstoffe konsequenzlos durch pflanzliche Stoffe ersetzt werden könnten. 20 Jahre nach diesem Heilsversprechen ist klar: Wo man auf der einen Seite die Knappheit des Erdöls bekämpft, erzeugt man auf der anderen Seite eine Knappheit an Boden, Wasser, Nahrung. Ganz zu schweigen von "externen Kosten“, wie der Vernichtung natürlicher Lebensräumen in Urwäldern für Ölpalmenplantagen und Sojafeldern. Ganz zu schweigen auch von der Fehlkalkulation, dass der Pflanzentreibstoff viel billiger sein würde als das Erdöl - und nun mindestens ebensoviel kostet.

Schlimmer als die nun auftretenden Fehlentwicklungen ist aber, dass der Irrtum nicht korrigiert wird. Dass man sich nicht eingesteht, dass der einzige Weg zu einer klimafreundlichen und nachhaltigen Energiepolitik nicht im bloßen Ersatz fossiler Brennstoffe liegen kann, sondern in der Drosselung des Verbrauchs. Dieses Weniger kann in einer Gesellschaft mit Wachstumsparadigma schon wehtun. Aber es geht auch um Effizienz und Intelligenz. Von der Entwicklung des berühmten Drei-Liter-Motors bis zur intensiveren Nutzung von Sonne und Wind.

Dazu ist nicht viel mehr nötig als konsequentes politisches Denken. Wenn einer also sieht, dass ein Gesetz, das er oder seine Vorgänger verabschiedet haben, seinen Absichten und langfristigen Zielen zuwiderläuft, muss er es ändern. Und warum sollte man ausgerechnet beim Klimaschutz nicht eins und eins zusammenzählen - und E10 abziehen - dürfen. Als positives Sign O’ the Times.

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