Der "Österreich-Ungar" György Sebestyén als Feuilleton-Chef der furche.
György Sebestyén 1930-1990
Literat
Mein Lieber", so leitete György Sebestyén gern Sätze ein, in denen er vorhatte, seinem Gegenüber zu widersprechen. Er erzeugte damit einen Überraschungsmoment, der ihm einen Vorsprung verschaffte. Verblüffen war eine seiner Methoden der intellektuellen Entwaffnung. Wer sich jedoch von seiner Höflichkeit und äußeren Ruhe nicht täuschen ließ, konnte dahinter die Ungeduld spüren und einen großen Zorn über den Lauf der Welt.
Anfangs hat er mich oft mit "mein Lieber" angesprochen. Als wir uns im Sommer 1989 kennen lernten, war er P.E.N.-Club-Präsident, Mitbegründer und langjähriger Chefredakteur der Zeitschriften morgen und Pannonia sowie Feuilletonchef der Furche, auch das schon mehr als zehn Jahre. Ich dagegen war ein junger Germanist am Beginn meiner Laufbahn. Keine gute Voraussetzung, um sein Redaktionsassistent zu sein. Zudem hatte der ungarische Emigrant, der Anfang Dezember 1956 vor den sowjetischen Panzern in Budapest nach Wien geflohen war, ganz andere Vorstellungen vom Feuilleton einer traditionsreichen Zeitung wie der Furche als der in der Post-68er-Ära groß gewordene Wiener.
Kurz vor unserer ersten Begegnung hatten Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn den Stacheldraht an der Grenze in Klingenbach durchgezwickt. Ich bin noch immer zornig auf mich, dass ich ihn damals nicht gefragt habe, was das für ihn bedeutet hat. Für ihn, Mitglied des PetÝofi-Kreises, der sich während der Regierungszeit Imre Nagys (1953-1955) für einen "menschlichen Sozialismus" eingesetzt hatte. Für ihn, den "Österreich-Ungarn", dem die Großmutter schon als Kind Deutsch beigebracht hatte, der schon wenige Jahre nach der Emigration begonnen hatte, Bücher in dieser Sprache zu schreiben, und der sich in den Siebzigerjahren für die "Mitteleuropaidee" stark gemacht hatte.
Doch so gut wie nichts hatte ich damals gelesen von György Sebestyén. Nicht seinen ersten in Österreich geschriebenen Roman "Die Türen schließen sich" (1957), in dem er über den Ungarn-Aufstand schrieb, nicht sein erstes auf Deutsch verfasstes Buch "Der Mann im Sattel oder Ein langer Sonntag" (1961), und auch nicht seinen letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Roman, "Die Werke der Einsamkeit" (1986). So wusste ich nichts von seinem an Hugo von Hofmannsthal orientierten Literaturkonzept, das sich auch bei dem vor ein paar Jahren wiederentdeckten Sándor Márai finden lässt. Ich wusste nichts von seinem "Streben nach Ausführlichkeit in der Sprache, Anspruch auf Totalität, Gebrauch der Energiequelle persönlichen Leidens", wie er es in seinem Essay "Der Anspruch auf den großen Raum" formuliert hat. Ich kannte Sebestyén damals vorwiegend als Kulturpolitiker. Ich wusste von seiner Feindschaft mit Hilde Spiel wegen der P.E.N.-Präsidentschaftswahl von 1972, bei der er ihre Kür verhindert hat. Und ich wusste von seinem großen Engagement für eine Allianz der Donaustaaten, unabhängig von der in den jeweiligen Ländern herrschenden Ideologie.
Nach diesem Jahr nun, in dem der ihm verhasste "Eiserne Vorhang" beseitigt wurde und damit eines seiner politischen Ziele erreicht war, ließen bei dem kranken Sebestyén die Kräfte allmählich nach. "Solange wir können, werden wir das so machen", sagte er ganz ohne "mein Lieber" bei einem meiner letzten Besuche an seinem Krankenbett. Mit "so" meinte er ein klassisches Feuilleton im Geist des Humanismus. Es klang mehr nach einem Auftrag als nach einer Anweisung. Ich habe sein Vermächtnis an mich nicht vergessen.
Der Autor ist Redakteur der
Wochenendbeilage "Spectrum" der
Tageszeitung "Die Presse" und war von 1989-95 Kulturredakteur der Furche.
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