Aus einer Zusammenarbeit

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Furche Nr. 23/6. Juni 1991

György Sebestyén, 1956 nach dem Ungarnaufstand aus seiner Heimat nach Wien emigriert, wurde zu einer literarischen Instanz Österreichs - und war in den letzten Lebensjahren Feuilleton-Chef der Furche. Ein Jahr nach seinem Tod im Juni 1990 erinnert sich Furche-Redakteur Harald Klauhs:

Wir hatten es am Beginn nicht leicht miteinander. Er, der angesehene Schriftsteller und P.E.N.-Club-Präsident, ich, der Second-hand-Texter (Germanist) und das jüngste Redaktionsmitglied. Meine Aufgabe war es vorerst, für ihn Seitenumbrüche zu zeichnen. Er behauptete zwar, daß er davon nicht viel verstehe, doch hatte er. zumeist sehr konkrete Vorstellungen davon, wie seine Seiten auszusehen hätten. Meine Unerfahrenheit stellte seinen äußerlichen Stoizismus auf eine harte Probe. Ich spürte jedoch seine innerliche Unruhe und wurde nervös. Meine mit Achtung gepaarte Scheu schuf in den ersten Monaten eine Distanz, die nichts Persönliches zur Sprache bringen ließ.

Doch bald bat er mich für seinen durch Krankheit reduzierten Arbeitseinsatz um Verständnis. Die hohen Stufen zu seinem ,,Furche"-Schreibtisch in den dritten Stock machten ihm allmählich zu schaffen. Mein Bemühen, ihm körperlich Anstrengendes möglichst unauffällig abzunehmen, honorierte er mit Berichten über sein Befinden. Später, schon bei einem meiner wöchentlichen Besuche im Krankenhaus, sollte er mir sagen, daß ein Übel unserer Zeit fehlendes Einfühlungsvermögen sei. Damals aber wurde nicht nur der Eiserne Vorhang brüchig, sondern auch die Mauer zwischen uns.

Die Zeit unserer Zusammenarbeit wurde kürzer, aber intensiver. Sebestyén gab mir immer häufiger etwas von seiner journalistischen Erfahrung mit und fragte mich auch in inhaltlichen Belangen immer öfter um meine Meinung. "Wir sind keine Schneider" meinte er einmal, als ich zu viel vom Anzug eines Porträtierten auf die Seite einpaßte.

Ab Februar 1990 mußte er dann stationär behandelt werden. Sein Arbeitseifer und die geistige Spannkraft waren ungebrochen, nur sein Körper spielte nicht mehr in gewünschtem Ausmaß mit. Wir führten aber noch lange Diskussionen in seinem "Spitals-Büro". So machte er sich zum Beispiel Gedanken über die Verantwortung der westlichen Linksintellektuellen für die Verbrechen des Stalinismus in Osteuropa. Ich gab zu bedenken, daß auch mit Berufung auf Kirchenlehrer Grausamkeiten im Namen des Christentums geschehen wären. Wir hätten uns darüber sicher noch länger unterhalten können, als wir es ohnedies taten, doch er ermüdete immer rascher.

Mein letzter Besuch am Tag vor seinem Tod war kurz. Mit der einen Hand hielt er die Sauerstoffmaske ins Gesicht, mit der anderen Hand drückte er meine rechte so kräftig wie noch nie. Ich hätte noch viel von ihm lernen wollen.

Nächste Woche: Willy Lorenz 1992 über Franco als "Judenretter".

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