giovannidilorenzo - © Kiepenheuer & Witsch / Vera Tammen

Giovanni di Lorenzo: Die Sprechfreiheit der Autokraten

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Ein neuer Sammelband mit Interviews von "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo enthält Gespräche von verblüffender Aktualität. Eine Erkenntnis: Offen zu sprechen, wagen nur noch Diktatoren – und der Papst.

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Ein neuer Sammelband mit Interviews von "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo enthält Gespräche von verblüffender Aktualität. Eine Erkenntnis: Offen zu sprechen, wagen nur noch Diktatoren – und der Papst.

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Was ist ein gutes Interview? Für die meisten wohl eines mit wohlüberlegten Fragen und einer Gesprächshaltung, die das Gegenüber zu möglichst viel Offenheit und möglichst wenigen Phrasen bewegt. Gerade das wurde freilich in den vergangenen Jahren deutlich erschwert: durch die Angst, etwas Falsches zu sagen. „Diese Angst äußert sich in Zurückhaltung, Zaudern, Vorsicht, Absagen, im Nachhinein vorgenommenen Streichungen oder Umformulierungen, manchmal sogar dem Einschalten von Anwälten, was zur Tilgung ganzer Passagen oder sogar des ganzen Interviews führen kann“, schreibt Giovanni di Lorenzo im Vorwort seines neuen Gesprächs-Sammelbandes „Vom Leben und anderen Zumutungen“. Seit 2004 ist er Chefredakteur der deutschen Wochenzeitung Die Zeit, zahlreiche Prominente hat er seither interviewt – doch die Tatsache, dass mittlerweile „ein pointierter Satz den nächsten Shitstorm auslösen“ könne, sei „eine Plage“.

Hier werden ihm wohl viele zustimmen. Ebenso im Befund, dass zugleich das Publikum empfindlicher geworden sei. „Wie kann man so einem Menschen ein Forum geben?“: Das bekam der Zeit-Chef vielfach zu hören, etwa nach Gesprächen mit Recep Tayyip Erdoğan oder Viktor Orbán. Seine Antwort: Natürlich gibt es Menschen, für die Medien nicht Verstärker spielen dürften – Gewalttäter, Verschwörungstheoretiker oder Holocaustleugner etwa. „Aber Herrscher, die Macht haben über Millionen von Menschen – von denen möchte ich alles wissen, selbst wenn mir beim Abhören ihrer verqueren Gedanken auf meinem Tonband schlecht wird.“

Entsprechend outspoken lesen sich viele jener 19 Gespräche, die im soeben erschienenen Sammelband enthalten sind: von Udo Jürgens über Umberto Eco, Reinhold Messner und Angela Merkel bis zu Papst Franziskus. Am beklemmendsten ist tatsächlich jenes mit dem türkischen Autokraten, das di Lorenzo im Juli 2017 führte – auf dem Höhepunkt der deutsch-türkischen Krise aus Anlass der Festnahme des Welt-Journalisten Deniz Yücel. Nicht nur die offene Feindseligkeit Erdoğans wird hier deutlich, sondern auch sein grundsätzliches (Un-)Verständnis bezüglich Pressefreiheit: „Ich glaube nicht daran, dass es irgendwo in der Welt unabhängige Medien gibt“, sagt er im O-Ton.

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