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Wird der Mensch Roboter?

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Am bedenklichsten stimmen jedoch die Begleiterscheinungen, die auf den einzelnen Sportler, der, hochgezüchtet zur Rekordmaschine, im Kampf um die höchsten Trophäen auch viel vom „ritterlichen Geist" Coubertiins eingebüßt hat, einwirken. Der von Trainern, Funktionären und anderen „Manipulierem“ ausgeübte Druck ist imstande, den Menschen auszu- höhlen und ihn einem Roboter zu assimilieren; während man letzterem mühelos abgenützte Bestandteile auswechseln kann, gestaltet sich die Transplantation menschlicher Bauelemente jedoch äußerst problematisch.

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Am bedenklichsten stimmen jedoch die Begleiterscheinungen, die auf den einzelnen Sportler, der, hochgezüchtet zur Rekordmaschine, im Kampf um die höchsten Trophäen auch viel vom „ritterlichen Geist" Coubertiins eingebüßt hat, einwirken. Der von Trainern, Funktionären und anderen „Manipulierem“ ausgeübte Druck ist imstande, den Menschen auszu- höhlen und ihn einem Roboter zu assimilieren; während man letzterem mühelos abgenützte Bestandteile auswechseln kann, gestaltet sich die Transplantation menschlicher Bauelemente jedoch äußerst problematisch.

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Die Geschichte der jüngsten Weltrekorde beinhaltet zugleich ein umfangreiches Stück Krankengeschichte: Allein Redzungen und Zerrungen der Achillessehne unterbrachen das Olympiatraining so prominenter Athleten wie Bikila Abeba (zweifacher Goldmedaillengewinner im Marathonlauf), Franz-Josef Kemper, Bodo Tümmler und Harald Nor- poth (deutsche Europarekordhalter über 800, 1500 und 5000 Meter). „Dem Röntgenbild einer Mondlandschaft gleichen die Ellenbogen früherer Speerwurfolympdasieger“, doziert der Sportmediziner Metzner. Eine Rückenverletzung brachte 1964 den Hamburger Zehnkampffavoriten Manfred Bock um seine Medaillenchance, Kurt Bendlin, der Weltrekordhalter in dieser Disziplin, erlitt durch das Krafttraiining eine Rückgratabsplitterung, die ihn zu tagelanger Bewegungsunfähigkeit verurteilte. Mononukleose (eine krankhafte Blutveränderung) raubte dem USA-Mittelstreckenphänomen Jim Ryun seine Überlegenheit, der kolumbianische Langstreckler und einzige Medaillenanwärter seines Landes, Alejandro Mejia, laboriert an einem Magengeschwür (eine Krankheit, die nicht selten „long- ranners’ heimsucht, jene Sportler, die Im monatlichen Training oft die Strecke Wien—Hamburg zurücklegen).

Die letzte Chance

Olympiakämpfer besitzen heute nur dann Chancen, als Olympioniken heimzureisen, wenn sie sich der modernsten Erkenntnisse auf den Gebieten der Technik, Medizin, Pharmazie und der psychologischen „Kriegsführung“ bedienen. So behauptet der britische Exeuropameister über 5000 Meter, Bruce Tulloh: „Der Unterschied zwischen guten und hervorragenden Sportlern liegt auf psychologischem Gebiet.“ In der Praxis sieht das so aus, daß beispielsweise ein Sondererlaß der DDR-Sportführung der heimischen Einheitspresse untersagt, die Zonensportler durch Vorschußlorbeeren zu beunruhigen. Schon 1956 ln Melbourne hatte der Olympiasieger im Hammerwerfen, Al Connolly, seinen Konkurrenten bereits im Training damit den „Nerv gezogen“, daß er unbemerkt seinen Abwurf einige Meter vorverlegte und so Welten über 70 Meter vortäuschte. Australische Trainer holten aus ihren schwimmenden „Schützlingen“ die letzten Reserven heraus, indem sie die Bedauernswerten in Hypnose versetzten und ihnen dann angreifende Haie suggerierten. Cassius Clay redete sich, seinen Gegnern und der Welt ein, er sei der Größte; nach wenigen Jahren konnte niemand mehr daran zweifeln. Sprinter versuchen gerne ihren Gegnern unmittelbar vor dem Start klarzumachen, daß es aus der Stellung ihrer Startblöcke kein Gewinnen gäbe. Lee Evans, derzeit schnellster 400-Meter- Läufer der Welt, führt seinen Blitzstart auf einen Schuß-Komplex zurück: Seit ihm ein weißer Farmer nachgeschossen habe, löse jeder Startschuß einen Fluchtreflex bei ihm aus.

Diese Beispiele sollten zum Nachdenken veranlassen; nicht nur darüber, wohin die noch zu erwartende Ausweitung solcher Praktiken führen kann, sondern wir sollten auch daran denken, wenn ein Sportler in dieser Woche auf dem höchsten Siegespodest steht, ihm die Menge zu- J&PS r. Schlagzeilen macht: daß der Erfolg, der letztlich •allein zählt, nur die Resultierende aus einer Fülle von Komponenten ist und daß einzelne Faktoren mit Spart und olympischem Gedanken nichts mehr gemeinsam haben.

Bel dieser Statistik ist zu berücksichtigen, daß die USA an allen 15, die UdSSR erst an 4 sowie Deutschland nur an 12 Spielen teilnahmen.

Im Durchschnitt eroberte die UdSSR 32,5 Goldmedaillen pro Spiele, die USA 27,6 und Deutschland 6,7.

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