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Neuer Fitnesskult, alte Leidensmystik und die ewige Sehnsucht nach Seligkeit: Die 6. Ökumenische Sommerakademie in Kremsmünster befasste sich mit "Gott, Glück und Gesundheit".

Das Glück hat viele Gesichter: für den Wiener ist es "a Vogerl", für Aristoteles "gutes Leben und gutes Handeln" - und für den Griechen von heute der Triumph bei der EM. Für den Kranken ist es die Gesundheit, für den Gesunden der Verlust von fünf Kilo Körpergewicht - und für den Schlanken eine Nasenkorrektur. "Glück ist inhaltlich nicht festlegbar", lautet die Erkenntnis des evangelischen Theologen Eberhard Jüngel. Der Glückszustand habe viele (diffuse) Qualitäten: "Glück ist unverfügbar", weiß Jüngel, und "Glück ist ein Widerfahrnis, das nicht nur dem Gerechten, sondern auch dem Taugenichts widerfährt". Auf jeden Fall ist Glück "die Fähigkeit, uneingeschränkt Ja sagen zu können". Spätestens dann, wenn in diesem Ja (zu Gott) auch das klagende Ach aufgehoben ist, wird Glück zur Glückseligkeit: "Seligkeit ist also ein Zustand, der es in jeder Hinsicht in sich hat."

Götze Gesundheit

In sich hatte es auch die Tagung, in deren Rahmen der Tübinger Hermeneutiker Jüngel seine Gedanken zum Besten gab: "Gott, Glück und Gesundheit - Erwartungen an ein gelungenes Leben" lautete das existenzielle Thema der sechsten Ökumenischen Sommerakademie*) im oberösterreichischen Stift Kremsmünster.

Dass für viele die Gesundheit das größte Glück bedeutet, ist nicht neu. Schon Arthur Schopenhauer meinte: "Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts" - und erklärte damit das Leben all jener für null und nichtig, die chronisch krank oder behindert sind. Wie hoch ist also die Gesundheit einzuschätzen? Ist sie tatsächlich - wie bei Geburtstagsreden beschworen - das höchste Gut? Nein, betont der Kölner Psychiater und Theologe Manfred Lütz - und ortet gleichzeitig eine sich ausbreitende "Gesundheitsreligion", deren Götze das körperliche Wohlbefinden und deren Götter die Ärzte sind: "Die Krankenhäuser sind die Kathedralen des 20. Jahrhunderts", ätzt Lütz (siehe Interview unten).

Ebenso viel Heil erwartet sich die moderne Wellness-Gesellschaft von den Fitnesstempeln - und dem dort zurechtgeformten "Produkt", dem perfekten Körper: Jung, fit und schön sollte er sein, dann kommt das Glück gewiss von selbst. Oder doch nicht? "Der Körper steht tatsächlich im Zentrum des Glücksstrebens moderner Menschen", ist die Tübinger Theologin Regina Ammicht-Quinn überzeugt. "Er muss auf der Ebene des Funktionierens und der Ästhetik perfektioniert werden. Doch diese Perfektionierungsanstrengungen produzieren massives Unglück, weil die Standards so hoch sind, dass man sie nie erreichen kann." Der Körperkult gehe also paradoxerweise mit einer massiven Körperverachtung einher, "die den Körper, der ja lebt und deshalb sterblich ist, insgesamt als Abweichung diagnostiziert und zum Handicap erklärt", meint die Theologin (siehe auch Furche-Interview auf Seite 9).

Auch wenn die körperliche Gesundheit seit jeher begehrt und als hohes Gut betrachtet wird - als "höchster Wert" eignet sie sich nicht, meint der Augsburger Moraltheologe Klaus Arntz: Werte beträfen die Verpflichtungen und die Freiheit des Menschen. So gebe es den Wert der Treue oder der Gerechtigkeit. "Gesundheit kann aber kein Wert sein, weil es oft auch belastende Ausgangsbedingungen gibt", so Arntz. Wer Gesundheit zum höchsten Wert mache, habe ein krankes Gesundheitsverständnis.

Falsche "Ethik des Heilens"?

Dennoch weitet sich diese Sichtweise - und damit der Trend zur Perfektionierung des Menschen - aus. Ein Beispiel ist laut Arntz die Rede von der "Ethik des Heilens", wie sie von Befürwortern der embryonalen Stammzellforschung etabliert wurde: Hier werde der Satz "Hauptsache Gesundheit" wörtlich genommen - koste es, was es wolle; der Weg zur Aussonderung alles Ungesunden (wie etwa in der Präimplantationsdiagnostik oder der aktiven Sterbehilfe) sei nicht mehr weit. Demgegenüber fordert Arntz eine "Option für den Vorrang von verletzlichen Personen". Dies sei schließlich das Markenzeichen christlicher Ethik.

Jesus selbst war es ja, der sich zu allererst um die Schwachen und Kranken kümmerte - und sie von ihrem Leiden erlöste. So viel zur biblischen Tradition. Tatsächlich war die katholische Kirche lange Zeit von einer ausufernden Leidensmystik geprägt - und ist es laut Klaus Arntz zum Teil noch heute: Als Belege zieht er Mel Gibsons bluttriefende "Passion Christi" heran - und deren Inspirationsquelle: die Visionen der deutschen Leidensmystikerin Anna Katharina Emmerich (1774-1824), die am 3. Oktober gemeinsam mit Kaiser Karl I. vom Papst selig gesprochen werden soll. "In dieser Leidensmystik erscheint Leid als Ereignis, das den Menschen - und letztlich auch Gott - ganz klein macht", gibt der Moraltheologe zu bedenken.

Krankheit als Strafe Gottes?

Ebenso bedenklich ist die Vorstellung von einem strafenden Gott. Vor allem die ältere Generation war von diesem Gottesbild geprägt, sagt der Freiburger Psychoanalytiker Tilmann Moser, Autor des Klassikers "Gottesvergiftung" (1976). "Aber auch viele Junge sind davon betroffen - vor allem in Freikirchen." Gott könne eben heil oder krank machen; er könne das Glück des Menschen sein - oder sein größtes Unglück.

Eine große Herausforderung für die Seelsorge, sind sich die Vertreterinnen und Vertreter der christlichen Kirchen in Kremsmünster bewusst. Oder mit Eberhard Jüngel gesprochen: "Ein Gekreuzigter sieht nicht gerade glücklich aus. Die Frage ist: Kann er dennoch glücklich machen?"

*) Veranstalter: ORF OÖ, Abt. Religion im ORF-Fernsehen, Ökumen. Rat der Kirchen Österreichs, Kath.-Theolog. Privatuniversität Linz, Evang. Bildungswerk OÖ, Land OÖ, "Linzer Kirchenzeitung".

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