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Kolportiertes Charisma

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ANSICHTEN EINES CLOWNS. Roman von Heinrich B 6ll. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln. 303 Seiten. Preis 16.80 DM.

Ein liberaler Industrieller aus Bonn hatte zwei Söhne. Der eine wurde Priester, der andere ein Clown. Der eine war brav und der andere schlimm. Der Brave wurde eine Randfigur und der Schlimme der Titelheld des neuen Romans von Heinrich Böll. Der Clown ist unglücklich. Das ist klar. Denn alle Clowns müssen unglücklich sein, damit Grimasse und Gesicht einen künstlerisch wirksamen Gegensatz abgeben. Der Priester ist glücklich. So glücklich, daß ihm gar nicht einfällt, daß sein Bruder unglücklich sein könnte. Das ist eigentlich auch klar, denn daraus ergibt sich die Erdleitung für den Spannungskreis. Schlimm und gut der Clown, brav und böse der Priester. Hinter jeder Figur steht eine ganze Gesellschaft. Die Künstler und Nonkonformisten auf der einen und die Christen im deutschen Wohlstand auf der anderen Seite. Böll spielt mit dem Strom hoher Spannung, der sich da ergibt. Die Funken blitzen, und der Leser fühlt sich elektrisiert. Aber die ganze Situation ähnelt mehr einer Modellanlage im Museum für Zeitgeschichte, als einer gelebten Wirklichkeit. Die Konstruktionsstreben sind noch sichtbar. Das Buch ist ein eigenartiger Zwitter: Zuviel Kritik, um Roman zu sein und zuviel Roman, um Kritik zu sein. Die Sprache Bölls benutzt die Kolportage als Mittel der Untertreibung ebenso wie aus Routine, nicht unähnlich Graham Greene. Die Durchflechtung mit Aktualitäten geht sehr weit und wird zu einer Kurzlebigkeit des Werkes führen. Papst Johannes ist schon gestorben und Adenauer ist auch nicht mehr jung. Die „deftigen” Ausdrücke — als da sind: rumpopeln, tingeln, klauen, mies, schwul und miefig — werden hoffentlich nicht nach Böll in die Schriftsprache eingehen. Vielleicht liegen hier einige der Ursachen dafür, daß das Buch in Österreich nicht soviel Anklang findet wie in Deutschland.

Die deutsche Presse fand in dem vom Publikum zum Sommer-Bestseller erhobenen Böll-Werk einen Anlaß zu erregten Diskussionen. Es mag Verleumdung und der Versuch, sich ein Alibi zu sichern, sein, den Autor als Linkskatholiken abzustempeln. Das Phänomen Böll ist zu vielschichtig, um auf einen so einfachen Nenner gebracht werden zu können. Wie bei jeder Kritik am Katholizismus schwingen in den Pro- und Kontra-Stimmen Ressentiments mit. Wenn einmal der „Spiegel”-Herausgeber Wilhelm Augstein persönlich zur Feder greift, um das Buch hochzuloben, darf man jedoch gewisser Hintermänner sicher sein, mit deren Interessen sich die Tendenz des Buches — gewollt oder ungewollt — deckt. Das ehrliche Gefühl des Unbehagens der jungen Generation im Wohlstandskatholizismus mischt sich mit einem guten Teil spießbürgerlicher Schadenfreude, die jede Blamage des Christlichen goutiert und selbst den eigenen Leichenzug noch als Gaudium genösse.

Es gibt freilich auch eine Lesart, die von der Überladung mit Gegenwart abstrahiert und von der Annahme ausgeht, daß die Streitigkeiten unserer Zeit dereinst lächerlich wie die Ehrbegriffe der Duellanten sein werden. Dann bleibt von den „Ansichten eines Clowns” eine zartgewebte Liebesgeschichte übrig, eine Novelle nur, aber voll dichterischer Substanz. Am Ende hat Böll nur diese Geschichte erzählen wollen — und alles andere ist aufgepfropft, damit sich das Buch auf dem heutigen Markt gut verkaufe? Der Gedanke ist zumindest ein Trost.

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