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Man schreibt wieder offene Briefe

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Themen haben ihre Stile. Die neue Welt der Politliteratur spült manches an die Oberfläche, was lange schon auf dem Grunde des Vergessenseins lag. Der polemische Stil blüht wie zu Zeiten der Aufklärung. Und man schreibt wieder „offene“ Briefe. Vielleicht ist das eine Spielart des politischen Feuilletons. Der ästhetische Schnörkel und eine Prise Humor sind auch eine Aufwertung des gedruckten Wortes vor den optischen Und akustischen Massenmedien. Offene Briefe kann man nicht dramatisieren. Ist es nur ein Zufall, daß ein Wiener Verlag mit der ersten Taschenbuchreihe „Offene Briefe“ auf den deutschen Markt geht? Hat nicht Österreich zu dieser Form seine Affinität? Oder ist diese Annahme zu widerlegen, weil sich unter den ersten sieben Bänden kein österreichischer Autor findet?

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Themen haben ihre Stile. Die neue Welt der Politliteratur spült manches an die Oberfläche, was lange schon auf dem Grunde des Vergessenseins lag. Der polemische Stil blüht wie zu Zeiten der Aufklärung. Und man schreibt wieder „offene“ Briefe. Vielleicht ist das eine Spielart des politischen Feuilletons. Der ästhetische Schnörkel und eine Prise Humor sind auch eine Aufwertung des gedruckten Wortes vor den optischen Und akustischen Massenmedien. Offene Briefe kann man nicht dramatisieren. Ist es nur ein Zufall, daß ein Wiener Verlag mit der ersten Taschenbuchreihe „Offene Briefe“ auf den deutschen Markt geht? Hat nicht Österreich zu dieser Form seine Affinität? Oder ist diese Annahme zu widerlegen, weil sich unter den ersten sieben Bänden kein österreichischer Autor findet?

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OFFENE BRIEFE AN DIE DEUTSCHEN. Von Heinrich Böll, Peter Härtling, Werner Höfer, Joachim Kaiser und Rudolf Krämer-Badoni. 163 Seiten. S 43.—. — OFFENER BRIEF AN GOTT. Von Robert Escarpit. 160 Seiten. S 43.—. — OFFENER BRIEF AN EINEN JUNGEN MANN. Von Andre Maurois. 151 Seiten. Paperback-Reihe im Verlag Fritz Molden, Wien — München — Zürich. S 43.—.

Der Herausgeber Janko Musuiin eröffnete die Reihe mit fünf prominenten Deutschen. Ihre Offenen Briefe tragen dais Signum der politischen Konstellation in der Bundesrepublik vor' der löteten Bundestagswahl. Inzwischen ist die Linke etabliert. Die Türen, die Heinrich Böll einrennt, sind offener als die Briefe. Der Anlaß ist' Geschichte geworden. Nur die Form kann diese Prosa noch davor retten, hoffnungslos zur Makulatur zu werden. Denn nichts ist langweiliger als eine Polemik gegen bereits beseitigte Zustände.

Mehr als gekonnte Journalistik ist Böls Brief „An eirie deutsche Frau“ leider nicht. Die Freunde des Dichters, die seine Lebenszeichen bis zum nächsten großen Wurf verfolgen, können mit diesem Offenen Brief bestenfalls das Böll -Ges amt werk auf den letzten Stand komplettieren. Natürlich hat auch dieses Gelegen - heitswerk seine Reize. Verblüffung und Humor und das starke menschliche Engagement Bölils machen den Brief lesenswert. Unerträglich wird Böll dort, wo er seine Leserinnen seitenlang schulmeistert. Lieschen Müller liest das ohnehin nicht. Und wer nicht Liesdien Müller ist, der braucht keinen Heintje unter den Intellektuellen, um den Mänmlich- keitsappeal der CDU zu durchschauen.

Werner Höfers „An eine ferne Geliebte“, ist sicher der beste unter den fünf Offenen Briefen des Budies. Möglicherweise deswegen, weil er nicht so sehr von der Aktualität überholt ist. Dem Leser wind hier ein weiterer Grund das Auflebens der Offenen Briefe deutlich. Ist der Offene Brief etwa die literarische Form, in der sich der Intellektuelle vorzugsweise ans weibliche Publikum wendet?

Peter Härtlings Brief „An den Studienrat Dr. S.“ klingt wie ein Pendant zu dem Fall des Studienrates Stairusch in Grassens „örtlich betäubt“. Joachim Kaiser schreibt „An einen enttäuschten Staatsbürger, dem unsere Subventionskultar nichts mehr gibt“. . Das kommt uns bekannt vor. Das haben wir auch. Die Nutznießer des Kulturbetriebs beschimpfen die Zustände, von denen sie leben. Was nichts gegen die Heilsamkeit der Einsicht und diie Notwendigkeit der Kritik beweist Rudolf Krämer-Badoni wendet sich „An die Vor- und Nachläufer der APO“ und sagt ihnen sinngemäß dasselbe, was hierzulande Heinrich Drimmel mehrfach zum Thema bemerkt hat. Das Pulver scheint übrigens auf beiden Seiten ziemlich verschossen zu sein. Die APO war eine Episode.

Wendet man sich nach diesem vielfachen poiitiscbein Engagement dem nächsten Band, Robert Escarpits „Offenen Brief an Gott“ zu, so vermutet und erhofft man Zeitloseres. Man findet es auch. Theologisches ist in den letzten Jahren in der Fach- und Populärldteratur in allen Tönen des Progressiismuis abgehandelt worden. Mit so viel Esprit ging indes noch keiner von den Experten ans Werk wie dieser Literaturprofessor aus Bordeaux. Er verrät auch an einigen Stellen, wem seine Bewunderung gilt. Es ist Gilbert K. Che-r ster ton.

Wer es geschmacklos findet, Gott mit Monsieur anzureden, ihn des Links- intellektualismus zu verdächtigen und überhaupt mit ihm zu verkehren, als sei er nur irgendeine institutionalisierte Person, der möge auf die Lektüre dieses Buches verzichten. Uber den Geschmack läßt sich bekanntlich schwer streiten. Es sei ziugegeben, daß man es nicht jedem religiösen Menschen zumuten kann, seinen Gott der Journaille auszuiie- fern.

Vergeblich wäre auch das Unterfangen, mit Esoarpit theologisch über seine Irrtüraer und Vorwürfe zu streiten. Er hält Gott oft nur für eine Einbildung seines „metaphysischen Katers“ und — was noch schlimmer ist! — er meint, Heiligkeit und Intelligenz seien unvereinbar. Da war Meister Chesterton denn doch anderer Ansicht. Wer Escarpits Offenen Brief kritisch mit dem Bleistift in der Hand liest, der kommt aus den Fragezeichen, die er an den Rand ziu schreiben hat gar nicht mehr heraus.

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