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Mensch und Sport

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Reichlich verspätet und überdies in einer beträchtlich verkürzten Fassung ist nun der Filmbericht über die letzte Sommerolympiade bei uns zu sehen. „Olympiade Tokio — Sekunden entscheiden" ist der wohl großartigste Film, der jemals von einer Sommerolympiade gedreht wurde. Mehr als hundert Kameraleute lieferten das Material in Farbe und Cinemascope, doch müßte daraus immer noch nicht ein Kunstwerk entstehen, wenp nicht ein ganz großer Regisseur und Künstler im Wahrsten Sinnes dės Wortes diesen Berg von Filmkilometern zu einem echten Kunstwerk geformt hätte. Kon Ichikawa, der Filme wie „Nobi“ und „Kagi“ gestaltet hatte, erwies sich auch in der Reportage als großer Künstler, der sich nicht mit der dekorativen Show einer riesigen Sportveranstaltung begnügte, sondern den Menschen und das Menschliche inmitten dieses gigantischen Sportfestes ununterbrochen in den Mittelpunkt rückte. Alles übrige ist nur Folie und Rahmen, ihn interessierte primär und ununterbrochen der Mensch, Triumph und Tragik des sportlichen Wettkämpfers in jenen unerbittlichen Sekunden der Wahrheit, in denen jahrelanges Training, Energie und Grenzen geprüft werden. Die Kameraleute Ichikawas nutzten alle technischen Möglichkeiten des modernen Films aus. Farbe, Breitwand, Zeitlupe und Teleoptik, um all das vor Augen zu stellen, was man sonst kaum aus der Distanz des Zuschauers in einem Stadion sehen und miterleben kann, jene letzte Konzentration unid entsetzliche Einsamkeit vor der entscheidenden Prüfung und jenen letzen Einsatz im Kampf selbst. Nicht der Rekord, die Statistik und das Ergebnis ist das Wichtigste in diesem hinreißendsten Film, der je über eine Olympiade berichtet hat, sondern der Mensch, der im sport- 1 liehen Spiel sein Letztes gibt, das er Körper und Geist abzuverlangen imstande ist. Daher sollten sich auch Menschen, die wenig oder gar keine Beziehung zum Sport haben, diesen großartigen Streifen ansehen, der niemanden auch nur eine Sekunde aus seinen Bann läßt. Vermag auch das Fernsehen rascher oder sogar direkt zu berichten, eine solche Präsentation des menschlichen Aspekts bleibt dem künstlerischen Filmbe- 1 rieht Vorbehalten.

Ansonsten konzentriert sich ja der Film in gewohnter Weise den Nacht- ; seiten des Lebens, wie der englische Streifen „Mademoiselle“ beweist Jean Genet — stets um erbarmungs- , loses Entlarven bürgerlicher Bor- . niertheit und scheinheiliger Bösartig- i keit bemüht — schrieb die Geschichte von der Dorflehrerin, der niemand etwas Böses zutraut, die aber in Wirkli hkeit eine Hexe in Person ist, die aus Unbefriedigtheit wahre Orgien an Gemeinheit feiert und es trotzdem versteht, in den Augen der Mitbürger eine angesehene Person zu bleiben. Jeanne Moreau ist geradezu eine Idealbesetzung für diese Inkarnation einer Welt, hinter deren wohlanständiger Fassade die ganze Abgründigkeit an seelischer Verrottung lauert.

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