Michael Jackson von Gaza

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Zwei Bilder aus Palästina: Einmal der Ghettoblaster groß im Vordergrund, dahinter Badefreuden am Mittelmeerstrand, ganz normale junge Leute.

Dann der Lauf eines Sturmgewehrs, Soldatenstiefel auf der Stadtmauer von Jerusalem. Macht. Hoch über nichts ahnenden Passanten.

Das Land ist gespalten, nicht nur zwischen Israelis und Palästinensern. Der deutsche Fotograf Kai Wiedenhöfer war monatelang in den israelisch besetzten Palästinensergebieten, dem Land der Intifada, unterwegs.

"Man muss die Menschen mögen und sie dies wissen lassen." Dieses Motto des legendären Kriegsfotografen Robert Capa hat Wiedenhöfer für sich erweitert: "Ohne Sprache ist keine gute Fotografie möglich." So lernt er Arabisch und schreibt sich für seine Bildreportagen vor allem die Nähe zu den Menschen auf die Fahnen, besser gesagt auf seinen Wimpel in den Farben Baden-Württembergs, der ihn auf seinen Streifzügen durch die israelische und palästinensische Zone beschützt. "Hey, is that the new crusade? Where are you from?" Drei Löwen zieren die Fahne des süddeutschen Landes, eine ähnliche wehte schon 900 Jahre zuvor hier - jene von Richard Löwenherz. "Heute soll sie helfen, mich von Siedlern und Palästinensern zu unterscheiden. Es wird zuviel geschossen auf den Straßen. Die Fahne verwirrt, keiner kennt sie. Bis die Leute sich einen Reim darauf gemacht haben, ob Freund oder Feind, bin ich nahe genug heran, um mit ihnen zu reden."

Wiedenhöfer zeigt eine innere, beinahe "einheimische" Sicht. Er hat sich mit der Sprache und dem Leben der Palästinenser intensiv auseinander gesetzt, indem er beides mit ihnen teilte. Trotzdem wurde er hin und wieder für einen isrealischen Spion gehalten, obwohl er kein Wort Hebräisch spricht.

Seine Kamera-Sicht der Dinge spiegelt aber die palästinensische. Und seine Bilder eine eindrucksvolle düstere Ästhetik. Mittlerweile ist der heute 37-jährige Fotograf bereits zu einer lokalen Berühmtheit geworden, was ihn jedoch keineswegs die Entbehrungen vergessen lässt, die mit einem Leben im Krisengebiet einhergehen. "Habib al-Schaab' nennen mich die Palästinenser, Freund des Volkes'. Man kennt mich an Orten, an denen ich nie zuvor gewesen bin. Ein junger Palästinenser meint grinsend zu mir: ,You are more famous in Gaza then Michael Jackson.' Viel lieber als Michael Jackson in Gaza zu sein, würde ich in diesem Moment im Stammcafé meiner Heimatstadt sitzen und Schokolade trinken." In einem Gebiet, wo abends immer wieder Ausgangssperre herrscht, ist es aber nicht einmal möglich, sich nach acht Uhr abends ein so bescheidenes Vergnügen wie den Besuch einer Pizzeria zu gönnen.

Und wie werden die Bilder der Zukunft aussehen? Fröhliche Badeszenen oder Maschinengewehre? Wiedenhöfer gibt sich nicht optimistisch. Die Friedensbemühungen sind fürs erste gescheitert. Durch die Straßen so manchen ehemals friedlichen Dorfes rollen heute wieder die Panzer. Und im Gazastreifen rollen sie durch die Häuser.

PERFECT PEACE. The Palestinians from Intifada to Intifada.

Von Kai Wiedenhöfer

Englisch mit deutschem Beiheft

Steidl, Göttingen, 2003

176 Seiten, geb., e 43,20

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