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Der slowenische Lyriker Tomaž Šalamun und sein Übersetzer Fabjan Hafner erhalten am 6. Mai den Preis für Europäische Poesie. Aleš Šteger repräsentiert die junge Lyrik seines Landes.

Als Staat ist Slowenien einer der jüngsten und kleinsten Europas, doch in der Literatur, zumal in der Poesie, ist es eine Großmacht. Sre\0x02C7cko Kosovel, Edvard Kocbek oder Dane Zajc sind lyrische Fixsterne des 20. Jahrhunderts - wie Tomaž Šalamun, von dem ein Auswahlband seines Übersetzers Fabjan Hafner vorliegt, für den beide mit dem Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie ausgezeichnet werden.

Šalamun, der 1941 geborene "Tabubrecher und Antitraditionalist" (Hafner im Nachwort), verfügt über ein reiches Formenrepertoire von langen, durchkomponierten Poemen, die oft durch ostinate Wiederholungen vorwärts getrieben werden, bis hin zu streng strophisch gegliederten Gedichten und lapidaren Zwei-oder Dreizeilern. Und er ist ein Meister vieler Töne, der ein ganzes Gedicht lang das Wort "ficken" hinausschreien kann und ebenso eindringlich in ganz leisen Bilden zu sprechen weiß.

"Tomaž Šalamun ist ein Ungeheuer. / Tomaž Šalamun ist eine rasende Kugel in der Luft. / Niemand kennt ihre Umlaufbahn" - so beginnt ein Gedicht, in dem er, autobiografisch grundiert, über sich und sein Land wie über seine internationale Verwurzelung nachdenkt. Seit vielen Jahren hat er in Amerika ein zweites Zuhause, vor allem in poetischer Hinsicht. Denn politisch ist er gegen die USA ebenso skeptisch wie gegen das eigene Land: "Ich habe die provinzielle katholische / Scheiße der Bostoner Pseudo-Elite satt", lauten zwei der seltenen direkt politischen Zeilen eines Gedichts, das den Kennedy-Clan attackiert.

Volkslied ist das unten stehende Gedicht übertitelt - als Signal für jene Ironie in Šalamuns Versen, die den durchaus auch vorhandenen hohen Ton bricht. Von der Familiengeschichte bis zu einem Innehalten in Manhattan, "zwischen Unflat und den hehrsten Regionen des Religiösen" (Hafner), vom titelgebenden Liebesgedicht bis zu verhaltenen Todesgedanken spannt sich Šalamuns poetischer Kosmos, aus dem Fabjan Hafner, selbst Poet, Gedichte geformt hat, denen man nicht anhört, dass sie keine Originale sind.

Ist Šalamun der poetische Leitstern seiner Generation, so ist Aleš Šteger, Jahrgang 1973, der bekannteste Vertreter jener slowenischen Lyriker, die erst im neuen Staat hervorgetreten ist. Sein Buch der Dinge hat ein ebenso einfaches wie strenges Konzept: Jedes Gedicht geht von einem Ding aus.

Irritierend ist nur, dass dabei auch Tiere unter die Dinge gerechnet werden. Oder ist das nur die Kehrseite dessen, dass auch die Dinge höchst lebendig sind? Nicht dadurch, dass sie naiv vermenschlicht erscheinen, sondern indem sie einbezogen werden in Dialog und Reflexion und so in Bezug gesetzt sind zum Sprecher des Gedichts und zu seinem Gesprächspartner, wie etwa in dem besonders stringenten Gedicht Schuhe, das mit dem Satz beginnt "Sie schützen dich, / Damit sich der Weg sanft in dich eindrückt" und in die Warnung mündet, sie nie auszuziehen, denn: "Wenn du es tust, ist die Reise zu Ende. / Wie ein Zigeuner wirst du begraben, / Barfuß und namenlos."

Viel raffinierter ist der Dialog in dem unten stehenden Gedicht Stein: Der Angesprochene ist, wie der parallele Beginn der ersten und dritten Strophe ausdrücken, selbst wie ein Stein und zugleich Bewohner dieses Steins, den er abwirft wie ein Schneckenhaus. Nicht alle Gedichte des Bandes erreichen diese Intensität, manche haben etwas Artifizielles und Verstiegenes an sich; doch wo sie ganz bei ihrem Gegenstand bleiben, wie etwa das Gedicht Lachse, prägen sie sich unverwechselbar ein.

Aus Slowenien, dem kleinen Land der großen Poesie, sind zwei weitere Dichter bei uns angekommen. Und wie es oft ist: Die ambitionierte Wiener "edition korrespondenzen" hat sie erstmals verlegt, Suhrkamp hat sie erst spät vorgestellt. Wo wären wir ohne die Kleinverlage! Aber wer sie dort nicht entdeckt hat, glaubt es vielleicht dem Signal Suhrkamp: Aus Slowenien kommt Welt-Posie.

Lesen: Lieben Gedichte aus vier Jahrzehnten

Von Tomaž Šalamun

Aus dem Slowen. übers. u. mit e. Nachwort vers. von Fabjan Hafner. 121 S., geb., € 20,40

Buch der Dinge Von Aleš Šteger Aus d. Slowen. v. Urška P. \0x02C7Cerne und Matthias Göritz. Mit einem Nachwort v. Matthias Göritz. 95 S., geb., € 15,30

Beide: Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006

Volkslied

Jeder echte Dichter ist ein Ungeheuer.

Er ruiniert seine Stimme und die Menschen.

Sein Singen entwickelt eine Technik, die die Erde

ruiniert, damit uns die Würmer nicht fressen.

Ein Trunkenbold verkauft seinen Mantel.

Ein Gauner verkauft seine Mutter.

Nur ein Dichter verkauft seine Seele, um sie

vom Körper, den er liebt, zu lösen.

Stein

Niemand hört, was ein Stein in sich trägt.

Nicht viel, aber sein, wie ein Schmerz,

Der im Schuh steckt zwischen Leder und Sohle.

Streifst du ihn ab, wirbelt Laub auf in kahlen Alleen.

Was einmal war, wird nie mehr sein;

Ein Haufen anderer Zeichen im Verfall.

Geruch von nahen Ambulanzen. Stumm gehst du weiter.

Was du in dir trägst, hört niemand.

Du, einziger Bewohner deines Steins.

Grad hast du ihn abgeworfen.

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