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Der Widerstand wird bleiben

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Nach einem überaus heftigen Abstimmungskampf haben sich die Schweizer am Wochenende mit knapper Mehrheit für die Fortführung der bisherigen Atomstrom-Politik entschieden. Ein Volksbegehren, das die Mitsprache der Bevölkerung beim Bau und Betrieb von Anlagen der Kerntechnik in der Verfassung verankern wollte, wurde mit einem Nein-Stimmenanteil von 52 Prozent abgelehnt.

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Nach einem überaus heftigen Abstimmungskampf haben sich die Schweizer am Wochenende mit knapper Mehrheit für die Fortführung der bisherigen Atomstrom-Politik entschieden. Ein Volksbegehren, das die Mitsprache der Bevölkerung beim Bau und Betrieb von Anlagen der Kerntechnik in der Verfassung verankern wollte, wurde mit einem Nein-Stimmenanteil von 52 Prozent abgelehnt.

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Der in der Schweiz - im Unterschied zu Österreich - erst nach der Einfuhrung der Atomtechnologie erwachte Widerstand wird nach diesem Volksentscheid sicher nicht verschwinden. Bereits im Mai müssen die Eidgenossen an der Urne über ein neues Atomgesetz abstimmen, das für den Bau von Atommeilern den Bedarfsnachweis vorschreibt. Und die im ersten Ablauf unterlegenen Umweltschützer haben bereits angekündigt, ihre Ziele mit einem neuen Volksbegehren weiter zu verfolgen.

Dem Urnengang vom Wochenende war ein wochenlanger Abstimmungskampf vorausgegangen: In bisher nie beobachteter Weise engagierte sich die Landesregierung, vor allem der sozialdemokratische Energieminister, Bundesrat Willi Rit-schard, gegen die Initiative. Die Elektrizitätsindustrie scheute keine Kosten, um die Bürger zu beeinflussen, und sogar die Verwaltungen von Post und Bundesbahnen verschickten, wie viele private Industrieunternehmen, Überredungsbriefe an ihre Belegschaften.

Der geschlossenen Energielobby, , der sich fast alle Zeitungen des Landes anschlössen, setzten die Bürgeraktionen im ganzen Land - unterstützt von der Sozialdemokratischen Partei und einem Teil der Gewerkschaften - ihr Engagement gegen „das große Energiegeschäft“ und „für eine Energiepolitik jenseits der Sachzwänge“ entgegen.

Das Resultat, das die Umweltschützer jetzt erzielt haben, ist angesichts der Überlegenheit ihrer Gegner, ein respektabler Achtungserfolg. Zehn von den 26 Kantonen und

Halbkantonen sprachen sich für die Ziele der Initianten aus - darunter zusammenhängende Gebiete wie die Region um Basel, die ganze französischsprachige Westschweiz und einige bäuerliche Urschweizer Kantone.

Das Ergebnis überrascht noch mehr, wenn man weiß, wie enthusiastisch die Eidgenossen jahrzehntelang die neue Technik als sauber und umweltfreundlich bewundert haben.

In rascher Folge planten, bauten und eröffneten sie Atommeiler in Beznau (zwei Reaktoren) und Mühleberg. Schon 1973, nach der Inbetriebnahme des Reaktors in Mühleberg, erzeugte die Schweiz mehr Atomstrom pro Kopf der Bevölkerung als jedes andere Land der Welt.

Mit übertriebenen Verbrauchsprognosen rechtfertigte die Atomindu-

strie weitere Milliarden-Investitionen im In- und Ausland: In der Heimat begann sie in Gösgen, Leibstadt und Kaiseraugust, in Frankreich in Bugey und Fessenheim mit dem Bau von weiteren Atommeilern. Ein gigantisches Stromverbundnetz, das sich schon zum Austausch von konventionell erzeugter Uberschußelektrizität bewährt hat, macht die Stromausfuhr zu einem lukrativen Geschäft.

Empörtes Volk

Einen Strich durch die rentable Rechnung machte erst der Widerstand der Bevölkerung im Dreiländereck um Basel. Wie in Wyhl am Oberrhein und in Fesselheim im Elsaß entwickelt sich auch in der Nordostschweiz um das AKW-Projekt von Kaiseraugust eine breite Protestbewegung.

Erschreckt über die Empörung im Volk, gaben die Behörden nach: Experten der Umweltschützer wurden im Berner Bundeshaus zu Gesprächen empfangen. Das Parlament begann eilig mit einer Revision des veralteten Atomgesetzes. Eine Gruppe

von Fachleuten erhielt den Auftrag, ein nationales Energieleitbild zu erarbeiten.

Doch das genügte den Umweltschützern nicht: In Volksabstimmungen setzten die Bürger der Kantone Basel-Stadt und Basel-Land gegen heftigen Widerstand ihrer Behörden mit Mehrheiten von 76 und 62 Prozent „Atomschutz-Initiativen“ durch, die die Behörden per Gesetz zum Widerstand gegen Atomanlagen auf eigenem1 und benachbartem Territorium zwingen.

Diesen Entscheid haben die Grenzbewohner jetzt bekräftigt: die Bürger der Stadt Basel unterstützten nicht nur mit 69 Prozent Ja-Stimmen das eidgenössische Volksbegehren, sie sagten sogar zu 80 Prozent Ja zu einem kantonalen Atomschutzgesetz, für das sie vor einem Jahr die Verfassungsgrundlage schufen.

Die Bewohner im Dreiländereck wissen nämlich, wovon die Rede ist, wenn es um den Atomstaat geht: im 70-Kilometer-Umkreis rund um Basel haben drei Staaten Standorte für neun Atomkraftwerke mit 14 Reaktoren von zusammen 14.000 Megawatt geplant - eine größere Ballung von Atommeilern als irgendwo sonst auf der Welt.

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