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Die Felsen stehen wie Jade

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Zu den künstlerisch bedeutendsten Ausstellungen, die je in Wien zu sehen waren, gehört ohne Zweifel die jetzige der Graphischen Sammlung Albertina, die „Chinesische Farbdrucke und Malereien aus der SammBunig Winzinger“ zeigt; i

Anders als im Abendland, stand in der chinesischen Kunst“ nicht der Mensch im Mittelpunkt der Betrachtung und der Dinge: das Tier, die Pflanze, der Baum, der Stein sind hm gleich, können zum Abbild allumfassender Ordnung und Gesetzmäßigkeit im Sinne des Tao, des leimlichen Weges der Natur im Ausgleich scheinbar polarer Kräfte werden. So sind auch die herrlichen Bilder und Farbholzschnitte dieser Ausstellung zu verstehen: nicht als Maturabbildungen, sondern, im äinne jeder großen Kunst, als /isionäre Neuschöpfungen aus dem Seist der Natur mit den Mitteln der illen verständlichen Formen der >Jatur.

Die Blüten und Vögel der hervor-•agenden Bilder aus der Sung-Zeit, lern 12. und 13. Jahrhundert nach Christus, zum Beispiel, sind nicht beliebige Ausschnitte der Wirklichkeit, sondern mit sublimer Empfin-lung und Erfindung gestaltete Durchdringungen und Konstellatio-len von Wesenheiten der Natur von lymbolhafter Bedeutung. So genoß ;twa der Bambus, der hier in den grandiosen Variationen der zwölf Bambusbilder aus der Sammlung ätoclet, den phantastischen Drucken ms der „Zehnbambushalle“ und lern „Senfkorngarten“ sowie in der roßartigen Malerei von Ou ch'ien md in dem Hauptwerk von Yao rüan chieh vertreten ist, als Sinnbild chinesischen Mannestums und les Weisen besondere Verehrung,

und zählte mit Orchis, Pflaumenblüten und Chrysanthemen zu den „vier Edlen“, die auch Sinnbilder der Jahreszeiten waren. Die leeren Flächen, in denen sich die Blüten, Gräser und Sprossen entfalteten, die von Vögeln durchschwirrt werden und von Insekten belebt, die mit so höchstem Raffinement den gegliederten Formen entgegengestellt sind, sind nicht nur Ausdruck höchster ästhetischer Kultur, perfekter Komposition, sondern meinen auch, nicht nur den tatsächlichen, sondern vor allem, den kosmischen Raum, in dem sich das Gleichnis des einzelnen, in dem immer wieder das Ganze gemeint ist, entfaltet.

Es ist vielleicht nützlich, die „Zwei Weisen beim Mondschein“ von Ts'ao chih-po (um 1300) mit Caspar David Friedrichs „Zwei Männer, die den Mond betrachten“ zu vergleichen oder das Meisterwerk des „Weisen am Bach“ von Hsia kuei mit C. D. Friedrichs „Mönch am Meer“ um der Größe und Tiefe chinesischen Naturlebens, chinesischer Malerei auf die Spur zu kommen. Ganz hinreißend in dieser Ausstellung sind dann auch die noch nie in dieser Anzahl gezeigten Blätter aus den Lehrwerken der „Zehnbambushalle“ und des „Senfkorngarten“, die in ihrer unglaublichen Übersetzung malerischer Valeurs, ihrer Präzision der Form und der Delikatesse der Farbe nicht nur eine Höchstleistung der Druckkunst darstellen, sondern zum Schönsten gehören, was Menschen je geschaffen haben. Die Ausstellung hält nur bis zum 22. Juni offen. Man sollte sie in diesem überreichen Ausstellungsjahr keinesfalls versäumen. Sie ist einzigartig.

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