6855701-1977_14_16.jpg
Digital In Arbeit

Erschütterung unseres Jahrhunderts

Werbung
Werbung
Werbung

Ein ungewöhnlicher Osterfestspielbeginn - Herbert von Karajan eröffnet sein diesjähriges Salzburger Osterfestival mit Gustav Mahlers VI. Symphonie, dem Schlüsselwerk der Moderne, einem Stück, das zwar nirgends programmatisch ist, aber doch wie kaum eine andere Symphonie Mahlers einen spürbaren Programminhalt propagiert: extreme Situationen des Lebens. Gratwanderungen, Weltferne und im schärfsten Gegensatz dazu das hart zupackende Schicksal, in der Partitur Mahlers die oft verlachten Schläge mit dem Hammer, die das Publikum heute noch ähnlich beunruhigen wie bei der Uraufführung des Werkes 1906 in Essen. Also harte Auseinandersetzung für Salzburgs exklusives Publikum.

Damals, 1906, reagierten die Zuhörer, aber auch bekannte Musiker wie Richard Strauss, irritiert und ratlos. Das ärgste hat sich zwar gegeben. Nicht gelegt hat sich aber die aufrührerische Neuartigkeit, das harte Zupacken dieses Werkes. Es hat bis heute seine Aggressivität nicht eingebüßt.

Natürlich wurde die Aufführung im Salzburger großen Festspielhaus ein triumphaler Erfolg- Zuerst zögernd, aber dann um so stürmischer brach der Jubel über Karajan und seine Berliner Philharmoniker herein; und zu Recht, denn sie hatten Maßarbeit geleistet, diese an technischen Schwierigkeiten unglaublich beladene Partitur selbst für höchste Ansprüche korrekt umgesetzt. Hinter ¿lern Streicherschwelgen in kostbaren und seltsamen Harmonien, die oft berückend schimmern, blieb aber doch überall die Unruhe spürbar, die das Publikum bei diesem Werk immer noch erfaßt. Die ständige Verunsicherung, denn diese „Tragische“ ist voll von belebenden Ausbrüchen, von Entwicklungen in eisige Kälte, die mit messerscharfen Blechorgien wechseln. Eine seltsam gewagte Entblößung Mahlers, der damit die Tragik seiner Zeit und seiner selbst offenbarte, aber auch eine erschütternde Zukunftsvision gab … Von einer Vorwegnahme des künftigen Lebens hat er selbst im Falle dieser Symphonie gesprochen. Und dieser Satz ist in Zusammenhang mit der „Tragischen“ für das 20. Jahrhundert von ungebrochener Aktualität geblieben. Genau das hat Karajan, der nach seiner kultivierten, aber kühlen Deutung von Mahlers V. Symphonie endlich den Weg zu diesem Komponisten gefunden hat, umgesetzt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung