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Wirtschaftliche Gesichtspunkte

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K., Beamter des Jugendarbeitsamtes W. „In dem Arbeitsamt unserer Stadt sind etliche tausend vierzehnjährige Buben und noch weit mehr Mädchen, die keinen Posten haben, vorgemerkt. Die Einführung eines neunten Pflichtschuljahres mit Termin Herbst 1954 würde den stärksten Nachwuchsjahrgang, den Geburtsjahrgang 1940, auffangen und eine reibungslose Eingliederung in die Wirtschaft ermöglichen. Im nächsten Jahr, wenn die Burschen vom Jahrgang 1940 15 Jahre alt geworden sind, werden sie durch ein berufsvorbereitendes Jahr vorgebildet und kräftiger sein und so von Meistern und

Unternehmern bereitwilliger zahlreicher aufgenommen werden.“

Fürsorgerat L.: „Ida muß ehrlich sagen, daß ich überrascht bin, daß wenigstens unter den Buben viel weniger, als ich gefürchtet hatte, ohne Lehrstelle blieben. Die Mithilfe von Handel, Handwerk und Industrie, das Jugendeinstellungsgesetz verbunden mit einigen Erleichterungen von Bestimmungen des Jugendbeschäftigungsgesetzes haben da wirklich geholfen. Ein Auffangen der starken Nachwuchsjahrgänge durch eine einjährige Verzögerung des Lehranfanges ist deshalb nicht sehr erfolgversprechend, da laut Statistik die Jahrgänge bis 1 9 5 9 über dem langjährigen Durchschnitt von 80.000 Ausschulenden stehen. Und wäre nicht durch den Ausfall eines ganzen starken Jahrganges, der zu einem neunten Schuljahr verpflichtet wird, der ganze Lehrstellenmarkt für ein Jahr unterbeschickt? Zu bedenken wären auch die großen Kosten eines neunten Pflichtschul- jähres, die nicht nur die Staatskasse und deii Steuerzahler bedeutend belasten, sondern auch die Eltern und die Wirtschaft, der ein arbeitender Jahrgang ausfällt und die ohnehin mit dem Altersversorgungsproblem schwer zu ringen hat. Der Staat hätte große Summen für die Errichtung und den Betrieb von Schulen und Werkstätten und die Erhaltung geeigneter Lehrkräfte auszulegen. Den Familien würde, wenn der Sohn erst ein Jahr später Geselle wird, eine Last von durchschnittlich 10.Q00 S aufgelastet werden. Für die Wirtschaft fällt ein Produktionsjahrgang aus. Wenn man die Jahre 15 bis 65 als

Arbeifsjahre rethqet, sind das zwei Prozent der Gesamtproduktion. Somit scheint es mir doch das Günstigere zu sein, vorerst mit dem freiwilligen neunten, berufsvorbereitenden Schuljahr Erfahrungen zu sammeln und die bisherigen Möglichkeiten auszubauen.“

Der vorliegende Problemaufriß gibt die privaten und einstweiligen Ansichten von an unserer Jugend und unserer Heimat interessierten Menschen wieder. Er soll keine abschließende Stellungnahme unseres Blattes und nicht einmal der einzelnen angeführten Diskussionsteilnehmer sein. Er soll auf diese bedeutsame und einschneidende Frage hinweisen und zu weiterer Diskussion anregen.

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