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"Vor Gericht und auf hoher See ist man allein in Gottes Hand", sagt der Volksmund. Stimmt nicht ganz, sowohl auf See als auch im Gerichtssaal haben noch andere ihre Hände mit im Spiel. Aktuelle Meldungen aus Österreichs Strafgerichten lassen den Verdacht aufkommen, dass diese Hände gegenwärtig den Angeklagten nicht offen, sondern eher als Fäuste entgegengestreckt werden. Daher: Ist mehr Härte angesagt in Österreichs Gerichten? Wie stark ist die Verteidigung im Strafverfahren? Und in welcher Rolle sehen sich die Richter? Redaktion: Wolfgang Machreich Rekord bei den Haftzahlen und Jugendliche, die für Bagatelldelikte 18 Monate sitzen. Ist generell mehr Härte angesagt in Österreichs Justiz?

Zwei Polohemden hat ein 17-jähriger Russe in einem Wiener Kaufhaus gestohlen, zu 18 Monaten Gefängnis hat ihn Mitte März der Jugendsenat des Oberlandesgerichts Wien deswegen verurteilt. Gegen die mildere Strafe von drei Monaten unbedingt und neun weiteren auf Bewährung hat der Staatsanwalt erfolgreich Berufung eingelegt. Ein hartes Urteil. Neben den sich zu immer neuen Rekorden hinaufschraubenden Haftzahlen ein weiteres Indiz, dass in der Strafrechtspflege mehr Härte angesagt ist?

Zweimal mit Nein antwortet die Erste Oberstaatsanwältin Marie-Luise Nittel darauf: Die Berichterstattung über den Fall des jungen Russen sei "nicht ganz richtig gewesen", sagt die Leiterin der Medienstelle der Oberstaatsanwaltschaft Wien. Der Jugendliche habe schon Vormerkungen und Vorstrafen gehabt, fährt Nittel fort, "das Urteil war daher durchaus vertretbar". Generell von mehr Härte in der Justiz zu sprechen, hält Nittel für falsch: "Wir sind heute mit einer anderen Kriminalität konfrontiert, darauf müssen wir anders reagieren." Wie? Nittel: "Die Justiz versucht die abschreckende Wirkung der Strafen zu erhöhen, und es ist halt noch niemandem etwas Besseres eingefallen als das Gefängnis."

"Im Gericht gut aufgehoben"

Gelegenheit auf eine Gefängnisdebatte umzusatteln, doch hier geht es um die Frage, ob strengere Zeiten in der Strafrechtspraxis ausgebrochen sind. Gleich vorweg: Generell will keiner der dazu befragten Anwälte, Richter, Rechtswissenschafter einem Kurswechsel hin zu mehr Härte in den Strafgerichten zustimmen. Es gäbe Impressionen, die in diese Richtung weisen, sagen viele, verlässliche Daten, die den Schwenk belegen, würden aber fehlen.

Nicht die Richter seien schuld, dass mehr gestraft wird, sondern die steigende Kriminalität und die größere Unverfrorenheit der Täter, greift Alois Jung, der Präsident des Oberlandesgerichts Linz, die Argumentation von Nittel wieder auf. Die tägliche Praxis in den Gerichten, wo an der konkreten Schuld das Strafmaß festgelegt wird, sagt Jung, erweist das Gerede von generell schwereren Strafen als nicht richtig. Sein Fazit: "Im Gericht ist man gut aufgehoben, hier wird nach Gerechtigkeit gesucht" (siehe auch Beitrag "Richtige Richter", Seite 23). Oberstaatsanwältin Nittel vervollkommnet Jungs schönes Bild noch, indem sie hinzufügt: "Im Zweifel kommt in Österreich eher ein Schuldiger nicht vor Gericht, als dass ein Unschuldiger angeklagt wird."

Einige dunkle Wolken in diesem sonnigen Gerichtspanorama sieht der Rechtsanwalt Richard Soyer. Das Argument, allein die steigende Kriminalität bringe die höheren Haftzahlen mit sich, lässt der Sprecher der "Vereinigung österreichischer Strafverteidiger" nicht gelten. Die Schwerkriminalität habe in manchen Bereichen, z.B. Mord, sogar abgenommen, sagt Soyer. Es würden aber jetzt viel mehr Bagatelldelikte angezeigt, und in Wien ende ein Raufhandel unter Jugendlichen gleich in einem Gerichtsverfahren. Soyer: "Das war früher nicht so und das ist auch heute nicht überall so."

Formalismus greift um sich

Soyer spricht damit das starke Ost-West-Gefälle in Österreichs Strafjustiz an. Im Osten des Landes wird strenger gestraft als im Westen. In der Großstadt Wien herrschen andere Regeln wie auf dem Land, wird oft als Begründung für die unterschiedliche Rechtssprechung angeführt. Unter Richtern ist die Meinung verbreitet, dieser Unterschied werde durch die jeweilige Ausbildung und Kollegenschaft tradiert. Andere meinen, die Anonymität in der Großstadt nehme den Richtern die Scheu, härtere Urteile zu fällen, am Land hingegen werde "noch mehr der Mensch gesehen".

Der Bregenzer Rechtsanwalt Wilfried Ludwig Weh argumentiert ähnlich: "Unsere Gendarmerie ist noch volksnäher - denen liegt nicht viel an harten Strafen, und das beeinflusst natürlich auch die Richter." Ob generell mehr Härte in die Strafrechtspflege Einzug genommen hat, "weiß ich nicht", sagt Weh. Was er aber weiß und was ihn "sehr erbost", ist, dass der Formalismus in den Gerichten immer mehr um sich greift. Da entscheidet sich, ob jemand drei oder fünf Jahre Haft erhält daran, ob der Anwalt einen Nichtigkeitsgrund korrekt in einem Formular eingetragen hat, klagt Weh: "Das ist extrem unfair" und gibt einem irischen Juristen vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof Recht, der Weh schon vor Jahren einmal gesagt hat: "Ihr Österreicher müsst den Begriff Fairness als Fremdwort übernehmen, weil ihr ihn nicht übersetzen könnt."

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