Kriegskinder im Schlaraffenland

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Tausende österreichische Kinder wurden nach Kriegsende 1945 in die Schweiz und andere europäische Länder eingeladen. Gibt es auch für irakische Kinder nach dem Kriegsende 2003 ein solches Schlaraffenland?

Bombenangriffe, Tote, Verwundete, Zerstörung, Elend, Hunger - Kriegs- und Nachkriegserfahrungen irakischer Kinder. "Unsere Generation weiß, was die empfinden", sagt Eva Bruckböck, "und ich würde diesen Kindern die Hilfe gönnen, die wir erfahren haben." Die Linzerin war zu Kriegsende 1945 sieben Jahre alt und wurde, so wie Tausende andere österreichische Kriegskinder, zu einem mehrmonatigen Erholungsaufenthalt in die Schweiz eingeladen. "Dort fand ich mein Schlaraffenland und konnte die Schrecken des Krieges, vor allem den Bombenterror auf Linz, teilweise vergessen."

Nach einem offiziellen Appell der wiedererstandenen Republik "an alle Hilfseinrichtungen jener Völker, welche durch diesen Krieg weniger oder gar nicht betroffen sind", kommen von Herbst 1945 bis Frühling 1949 knapp 200.000 Kinder aus Österreich zum Aufpäppeln in die Schweiz. Rund 50 Prozent der österreichischen Kinder waren unterernährt, 30 Prozent schwer unterernährt, nur elf Prozent normal ernährt. So wundert es nicht, dass den "Öschtrichli" die Augen übergegangen sind, als sie von ihren Schweizer Pflegeeltern "die ersten Bananen (die mit Schale nicht schmeckten), Orangen, Schokolade, Butterbrot mit Zucker" bekommen. Der Linzer Vizebürgermeister Hans Nöstlinger, ebenfalls ein "Schweizerkind", erinnert sich im Vorwort des Buches "Auf ins Schlaraffenland", das Eva Bruckböck im Eigenverlag herausgegeben hat: "Das unvergessliche Schweizer Frühstück mit Weißbrot und Konfitüre', der Besuch in einer Konditorei, in der ich mich auf Grund der großen Auswahl gar nicht zurechtfand, oder die netten, mir nicht immer ganz verständlichen Worte, die mir als kleiner, junger Lederhosenträger zugedacht wurden."

Geduscht & Entlaust

Die großteils liebevolle Aufnahme (Bruckböck: "Nur ein sehr kleiner Prozentsatz hatte Pech mit dem Pflegeplatz."), das gute Essen, die neuen Kleider und Schuhe, "die warm machten und nicht drückten", lassen das Heimweh schnell vergessen. Und auch die lange Anreise in verwahrlosten Zügen, die Quarantänestation, die Entlausung - all diese unangenehmen Eindrücke verblassen schnell vor dem Glanz der neuen und vom Krieg verschont gebliebenen Welt. Die Aktion bleibt nicht auf die Schweiz beschränkt: Belgien, Irland, Dänemark, die Niederlande, Norwegen, Spanien, Portugal und Ungarn nehmen Kinder auf.

Und heute? Lässt sich die Hilfsaktion "Schweizerkinder" auf kriegsgeschädigte Kinder im Irak übertragen? Eva Maria Hobiger, die Wiener Ärztin, die sich schon seit langem für Hilfsprojekte im Irak engagiert, ist skeptisch. Sprach- und Kulturbarrieren nennt sie als größte Hindernisse. Dazu kommt die große Entfernung, die nur per Flugzeug überwunden werden kann. Außerdem stellt Hobiger die Fragen: "Welche Kinder werden ausgewählt?" und "Wie will man vermeiden, dass nicht einige wenige bevorzugt werden?" Summasummarum ist für Hobiger Hilfe vor Ort die bessere weil effizientere Hilfe.

Sprachbarrieren mussten auch die "Schweizerkinder" überwinden: "Die Mus' war eine Maus, der Buch' ein Bauch, S'Ching' ein Kind und der Hung' ein Hund", beschreibt Eva Bruckböck die Lernfortschritte in ihrem Erinnerungsbuch. Die Kinder in Spanien, Irland oder Dänemark wurden in eine noch fremdere Sprachenwelt gestoßen, doch "in diesem Alter lernt man ja schnell", weiß Bruckböck. Die Kontakte zu den Pflegeeltern und deren Familien sind bei vielen Kindern über Jahrzehnte und teilweise bis heute erhalten geblieben. Gerade dieser Aspekt wäre für die kriegsgeschädigten Kinder im Irak wichtig: Zu sehen, dass der Rest der Welt nicht nur aus Feinden besteht, zwischenmenschliche Brücken bauen, während andere den Zusammenprall der Kulturen predigen.

Im österreichischen Außenministerium denkt man gerade "sehr intensiv" über ein Hilfsprojekt für irakische Kinder nach: 200.000 Euro wurden dafür budgetiert. In erster Linie soll kriegstraumatisierten Kindern geholfen werden. Kinder nach Österreich zu bringen, habe jedoch nur dann Sinn, meint Harald Günther vom Außenamt, "wenn die benötigte Hilfestellung im Irak selbst nicht möglich ist". Auch er nennt logistische Probleme, die Bereitstellung von Begleitpersonen etc. als Gründe, die gegen irakische "Österreichkinder" sprechen.

Wie die österreichischen "Schweizerkinder" nach Hause gekommen sind, wurden sie fast nicht wiedererkannt: "Wie a Blasengerl schaust aus", staunte die Oma von Eva Bruckböck. Kein Wunder, das Kind war ja auch gerade aus einem himmlisch friedlichen Land in die kriegszerstörte Heimat zurückgekehrt.

Ein Treffen einstiger "Schweizerkinder" aus Niederösterreich und Wien plant Eva Bruckböck für den Herbst in Wien.

Anmeldung zur Teilnahme bis 10. Mai unter 0732/68 28 86 (Mo-DO, 8-10 Uhr)

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