Kultur des Plagiats

Werbung
Werbung
Werbung

Ich habe in meinem Leben sehr, sehr viele wissenschaftliche Abhandlungen gelesen. Deshalb dachte ich immer, Originalität in der Wissenschaft sei nichts Erstrebenswertes. Im Mittelalter berief sich ein Scholastiker sogar oft dort auf einen "alten Meister" (oder gar auf Aristoteles selbst), wo er höchst originelle eigenständige Gedanken formulierte (und dies natürlich auch wusste). Adelard von Barth zum Beispiel, eigenwilliger Denker aus der Schule von Chartres, bekannte: "Wenn ich eine persönliche Idee veröffentlichen will, schreibe ich sie einem anderen zu und erkläre:, Der und der hat es gesagt, nicht ich.' Um zu vermeiden, dass man denkt, ich Unwissender habe aus mir selbst meine Ideen, lasse ich glauben, ich hätte sie aus meinen arabischen Studien gezogen."

Skandalmeldungen von Plagiatsjägern lassen befürchten, dass diese gute Tradition der Wissenschaft Gefahr läuft, aufgegeben zu werden: Plötzlich soll es um der Originalität willen sogar Mode geworden sein, als Eigenes auszugeben, was andere gedacht haben?

Orientierungshilfe möge da die pragmatische Vorgangsweise von John K. Galbraith geben. Im Vorwort seines Buches Anatomie der Macht (1987) stellte er klar: "Ich will keineswegs behaupten, alles gelesen zu haben, was über Macht geschrieben worden ist. Manche Bücher sind schlicht und einfach unlesbar, und gewiss ist mir auch viel entgangen. Mir geht es ähnlich wie anderen Autoren: Ich weiß manchmal nicht mehr genau, auf welche Quelle diese oder jene meiner Ideen zurückgeht."

Wenn man davon absieht, dass Galbraith als amerikanischer Präsidentenberater sehr mächtig war, muss das wohl der Hauptgrund gewesen sein, dass ihn niemals jemand eines Plagiats überführen wollte.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Direktor der Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Graz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung