Im Feber bestätigte Wiens IKG-Präsident Oskar Deutsch gegenüber dem Kurier, dass es in der jüdischen Gemeinschaft Österreichs durchaus heftige Debatten gebe, ob Österreichs Juden in diesem Land eine Zukunft sehen oder lieber auswandern sollten. Daraufhin versicherte Kanzler Werner Faymann Österreichs Juden "den Schutz des Staates" und hob ihren "wichtigen Beitrag für das Land" hervor. Ähnliches war auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu hören: "Merkel sichert Juden in Deutschland Schutz zu" (Süddeutsche) oder "Merkel möchte Juden in Deutschland halten"(Die Zeit), das waren die Schlagzeilen, mit denen man sich nach den Anschlägen von Paris und Kopenhagen konfrontiert sah.
Da bekommt die Rede von der "jüdischen Renaissance" in Europa schnell Schlagseite, mit der die Politik jahrelang die Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass sich die jüdischen Gemeinden in Westeuropa in den letzten 30 Jahren erheblich konsolidiert haben, in Deutschland und Österreich wie auch in Polen oder Tschechien. Heute frage ich mich: Wer Schutz braucht oder zum Bleiben aufgefordert werden muss, ist der ein integraler Bestandteil dieser Gesellschaft? Sehr gut können sich Juden - und Muslime - noch an die Beschneidungsdebatte erinnern, die 2012 von Deutschland nach Österreich schwappte, wo sie täglich besonders unappetitliche Kommentare in den Gazetten erzeugte. Die jüdische Studentin Hanna Peaceman schrieb damals: "Antisemitische Vorurteile [sind] kein Randphänomen, sondern gerade in der sogenannten 'bürgerlichen Mitte' oft zu finden." Und Dilia Regnier meinte: "Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, der selbst der Holocaust kein Mitgefühl abringt."
Damit wichen die Hoffnungen schlagartig der Ernüchterung: Antisemitismus ist nach wie vor ein Problem in unserer Gesellschaft. Und: Jüdisches Leben scheint bedroht, wie schon lange nicht mehr.
Der Autor ist Rabbiner und Direktor der School of Jewish Theology an der Universität Potsdam
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