Der gute Mensch von Glinzendorf

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Als Kind hat er gelernt, dass nur der etwas ist, der etwas hat. Doch Gerhard Zoubek wollte mehr: Er wollte die Welt verändern. | Heute ist er Geschäftsführer des "Biohofs Adamah“ - und macht seinen Kistl-Kunden Appetit auf ein bewusstes Leben.

Eigentlich ist Gerhard Zoubek ein Chaot. Eigentlich ist er einer, der manches Mal Termine verwechselt und der lieber aus dem Bauch heraus entscheidet als auf Basis eines Businessplans. Eigentlich ist der 55-Jährige mit der wirren Sturmfrisur alles andere als ein tougher Unternehmertyp. Und trotzdem - oder gerade deswegen - steht sein "Biohof Adamah“ im Marchfelder Örtchen Glinzendorf für eine einzigartige Erfolgsgeschichte.

Sechs Millionen Euro setzt der Biohof mit seinen 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jährlich um; rund 5500 "Bio-Kistln“, gefüllt mit erntefrischem Bio-Gemüse aus eigener Landwirtschaft und zugekauften Bio-Produkten, werden Woche für Woche von 13 Autos quer durch den Ballungsraum Wien gekarrt und direkt vor der Wohnungstür der Kunden abgeliefert. Übereinandergestapelt würden die Kisten 1200 Meter hoch in den Himmel ragen, rechnet Zoubek im idyllischen Garten hinter seinem Glinzendorfer Hofladen vor. "Da wird es langsam Zeit für etwas mehr Struktur.“

Prozesslandkarten für mehr Übersicht

Zumindest für heuer habe man schon einen Businessplan entworfen; Prozesslandkarten sollen zudem helfen, die einzelnen Bereiche - neben den Kistln etwa auch die Zusammenarbeit mit Sozialmärkten oder verschiedenen Sozialprojekten - besser zu strukturieren, ohne an Lebendigkeit einzubüßen. "Das bringt hoffentlich auch wieder mehr Ruhe für mich“, sagt der Biobauer und nimmt einen Schluck Kaffee.

Zeit haben, ein guter Mensch sein und dadurch ein bisschen die Welt verbessern - das ist es, was Gerhard Zoubek seit jeher treibt. Ausgerechnet Bauer zu werden, kommt ihm freilich erst spät in den Sinn. Zu sehr schrecken ihn als Kind jene Landwirte ab, die - oft jammernd und unzufrieden - die Landmaschinenfirma seiner Eltern frequentieren. "Die haben sich meist darüber definiert, wer den größeren Traktor oder Mähdrescher hat - und davon hat die Landmaschinenbranche ganz gut gelebt“, erinnert sich Zoubek. Als sein älterer Bruder mit 16 Jahren an Knochenkrebs stirbt, will er selbst die Firma weiterführen und beginnt ein Wirtschaftsstudium. Mit 23 Jahren heiratet er, zieht mit seiner Frau Sigrid auf den Hof ihrer Eltern in Glinzendorf, bekommt mit ihr drei Kinder, führt die Maschinenfirma - und stößt irgendwann an seine Grenzen: Die Ostöffnung spült billige Landmaschinen auf den Markt, und die eigenen Angestellten stoßen sich an den Ideen des jungen Querkopfs. Schließlich wird das Unternehmen Anfang der Neunziger Jahre liquidiert - und der Juniorchef stürzt in eine tiefe Krise. "Dieses Scheitern war eine tragische Erfahrung, weil ich ja nach dem Motto erzogen worden bin: Wenn du nichts hast, dann bist du nichts“, erzählt der 55-Jährige.

Frustriert beschließt er, endlich neue, unbekannte Aspekte des Lebens zu erkunden: Er engagiert sich sozial, versorgt mit dem Canisibus Obdachlose und beginnt eine Psychotherapieausbildung nach der logotherapeutischen und existenzanalytischen Methode Viktor Frankls. Nur noch die Praxisstunden fehlen ihm, als sich 1995 am Bauernhof seiner Schwiegereltern die Nachfolgefrage stellt. "Da habe ich die Ausbildung zugunsten der Therapie hier am Hof aufgehört“, meint Gerhard Zoubek lächelnd. Den konventionellen Landwirtschaftsbetrieb einfach so weiterzuführen, kommt für die Eltern von mittlerweile vier Kindern freilich nicht in Frage. Bei einem Treffen des Ernteverbands stoßen sie endlich auf Gleichgesinnte, die sich nicht mehr über ihren Besitz, sondern über den Willen zur Veränderung definieren. Spontan beschließen die Zoubeks, gleich 40 Hektar auf biologische Wirtschaftsweise umzustellen: Mit Pferdemist bringen sie den ausgelaugten Boden in Schwung, ziehen gemeinsam mit dem Botaniker Peter Lassnig über 70 verschiedene Kürbisgewächse - und taufen ihren Hof "Adamah“ (lebendige Erde).

Die Ernte übertrifft alle Erwartungen. Doch was tun damit? Einen Konzern zu beliefern, geht dem Freigeist Zoubek gegen den Strich. Da stößt er in einem Buch auf die Idee des "Bio-Kistls“, wie es bereits in Linz und München angeboten wird: Er nimmt 60 Kisten aus der Ecke seines Zwiebellagers, füllt sie mit seinen Kostbarkeiten, verschickt sie im Bekanntenkreis - und tritt eine Lawine los. "Ich habe nur den Mut gehabt, immer zu sagen: weiter, weiter, weiter!“, erzählt der Biobauer in seinem lauschigen Garten.

Bio-Lebensmittel mit Biografie

Heute sind viele seiner Pläne längst Realität. Unterstützt von seiner Familie vertreibt er "Bio-Lebensmittel mit Biografie“ - ergänzt von Rezepten und den neuesten Nachrichten über die aktuelle Ernte, einzelne Mitarbeiter oder auch die jüngste EHEC-Epidemie, die man bei "Adamah“ weitgehend unbeschadet überstanden hat. Eine Fotovoltaik-Anlage sorgt an sonnigen Tagen für einen energieautarken Betrieb - samt Kühlanlagen. Und angekaufte Häuser bieten den Erntehelfern aus der Slowakei, Polen und Rumänien eine adäquate Unterkunft. "Für mich heißt Biobauersein ja nicht nur, Spritzmittel wegzulassen und die EU-Norm XY zu erfüllen“, sagt der Mann mit der Sturmfrisur. "Sondern es ist eine Lebenshaltung: Wie gehe ich mit mir, meiner Familie, meinen Mitarbeitern, mit der Erde um? Da gibt es noch viele Visionen, die in mir schlummern.“

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