"Und nachmittags fischen gehen"

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Der "homo oeconomicus" ist ihm lange nicht genug: Kurt W. Rothschild, einer der bedeutendsten lebenden Nationalökonomen Österreichs, nimmt lieber den gesamten Menschen in den Blick - und die Politik in die Pflicht.

Dieser Mann mag Menschen: Die Lachfalten verraten es, die Augen verraten es, und der Witz verrät es sowieso. Nur mit einer Sorte Mensch hat der alte Mann ein Problem: mit Dogmatikern, die Scheuklappen haben und krampfhaft versuchen, mit einer einzigen Theorie die Welt zu erklären. Das sei schließlich in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die unter der Unberechenbarkeit des Menschen leiden würden, ein Ding der Unmöglichkeit. "Schon Heraklit hat ja gesagt: Man steigt nie in denselben Fluss."

Instrumente statt Dogmen

Kurt W. Rothschild, 90-jähriger emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Johannes-Kepler-Universität Linz und jahrzehntelanger Mitarbeiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (wifo), beobachtet den Fluss des Wirtschaftens lang genug, um dessen Launen zu kennen. Umso überzeugter hat er dogmatischen Glaubenssätzen abgeschworen und sich lieber eine "box of tools" zugelegt - einen Instrumentenkasten, aus der jene wirtschaftstheoretische "Therapie" herauszunehmen ist, die zur gegebenen Situation am besten passt.

Wie wichtig die Anpassung der Theorien an die Wirklichkeit ist, hat nach Rothschild die Geschichte gelehrt: "Es war die große Leistung von Adam Smith (1723- 1790, Anm. d. Red.) zu zeigen, dass eine reine Marktwirtschaft funktionieren kann. Aber mit diesem idealisierten Bild hat man geglaubt, alles erklären zu können. Der große Schock ist dann in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit der langjährigen Krise gekommen." In dieser Zeit habe der britische Ökonom John Maynard Keynes (1881-1946) gezeigt, dass der Markt keinem perfekten Modell entspricht, sondern störungsanfällig ist. Um diese Störungen zu beseitigen, müsse der Staat bisweilen intervenieren.

"Ich bin ein Keynesianer!"

Es ist dieses Modell Keynes' von der wirtschaftlichen Mit-Verantwortung der Politik, das Kurt W. Rothschild prägte und ihn - trotz aller Abscheu gegenüber Dogmen - zum "Keynesianer" werden ließ: "Wenn man mich abstempeln will", schmunzelt Rothschild beim Interview in der wifo-Bibliothek, "dann habe ich nichts dagegen, dass man mich so nennt."

Bis dahin war es freilich ein langer Weg: 1914 als Sohn jüdischer Eltern in Wien geboren (der deutsche Vater arbeitet als Handelsvertreter für Registrierkassen, die aus Böhmen stammende Mutter ist Hausfrau), beginnt er das Volkswirtschaftsstudium an der Universität Wien. 1938 schließt Rothschild, der mit der legendären Bankiersfamilie nur den Namen teilt, das Studium ab. Noch im selben Jahr muss er mit seiner Frau vor den Nazis fliehen - zuerst in die Schweiz, später nach Glasgow, wo er ab 1940 an der Universität tätig ist. "Ich habe mich in Schottland unheimlich wohl gefühlt", erzählt er heute. "Man könnte Flüchtlingen, die nach Österreich kommen, nur wünschen, so freundlich aufgenommen zu werden wie wir damals."

Rothschild nutzt die guten Forschungsbedingungen und publiziert im Jahr 1944 im Economic Journal den Aufsatz "The Small Nation and World Trade". "Er hat darin bereits die ökonomische Lebensfähigkeit Österreichs bewiesen", betont sein langjähriger Assistent Ewald Nowotny, heute Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuni Wien.

Trotz der guten Rahmenbedingungen kehrt Rothschild 1947 mit seiner Familie nach Wien zurück. Sohn Thomas, heute renommierter Literaturwissenschafter, ist damals gerade fünf Jahre alt. "Ich habe meine Frau nur mit großer Überredungskunst dazu gebracht, mitzukommen", schildert Rothschild die Situation. "Ich habe mir halt gedacht: Jetzt wird ein neues Österreich entstehen. Das könnte spannend sein."

Tatsächlich wird ihm eine Stelle am Institut für Wirtschaftsforschung in Wien angeboten. Hier entwickelt er das, was man später den wifo-Stil nennt: die Verbindung von Theorie und seriöser Aufarbeitung der Datenlage. "Es widerstrebt ihm, Hypothesen ohne empirischen Beleg aufzustellen", meint der spätere wifoLeiter und nunmehrige Rektor der Donau-Universität Krems, Helmut Kramer. "Er schießt nicht mit ökonometrischen Kanonen auf statistische Spatzen."

Ebenso typisch für die "Rothschild-Schule" wird die Weitung des Blicks vom knallhart rechnenden "homo oeconomicus" hin zum "homo politicus" und "homo psychologicus": "Es gibt viele menschliche Motive, die dazu führen, dass Menschen wirtschaftlich handeln", glaubt Rothschild. "Manche handeln nach Gewohnheit, andere nach Daumenregeln oder Vorbildwirkung."

Trotz seiner Pionierarbeit am wifo lässt der Ruf an eine Universität auf sich warten. Erst im Jahr 1966 erhält er den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der neu gegründeten "Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften" in Linz - der späteren Johannes-Kepler Universität. Hier wird er bis zu seiner Emeritierung 1985 neben Außenhandel und Wettbewerb vor allem ein Thema durchleuchten, das ihn bis heute beschäftigt: die Arbeitslosigkeit.

Einseitige Maßnahmen reichen nach Meinung Rothschilds zur Lösung dieser Misere jedenfalls nicht aus. "Niedrige Löhne oder eine verlängerte Arbeitszeit nützen nichts, wenn es keine Nachfrage gibt." Eine Politik gegen Arbeitslosigkeit müsse daher auch die Nachfrage steigern. "Das ist wie beim Heiratsmarkt", illustriert Kurt Rothschild die Dynamik. "Nach dem Krieg gab es mehr Frauen und weniger Männer. Da hat es geheißen: Man muss sich nur herausputzen, dann wird man einen Mann finden. Aber für einen Teil der Frauen waren einfach keine Männer mehr da!" So zwecklos sich diese Frauen schmückten, so zwecklos seien heute Schulungen von Arbeitslosen ohne gleichzeitige Stimulierung der Nachfrage.

Auch auf internationaler Ebene nimmt Rothschild die Politik in die Pflicht: Skeptisch beobachtet er die Dynamik der Globalisierung - gekoppelt mit einer Politik, die auf Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung setzt: "Die Regulierungen müssen heute sicher anders aussehen als in der Vergangenheit, aber es ist lächerlich zu glauben, dass es zur neoliberalen Politik keine Alternativen gäbe." Dass die Regierungen nach wie vor Einfluss nehmen könnten, beweise die jüngste Änderung der geplanten eu-weiten Liberalisierung der Dienstleistungen.

Plädoyer für Muße

Ähnlich viel Mut wünscht sich Rothschild, der immer noch regelmäßig ins wifo kommt, auch bei einem anderen Thema - der Arbeitszeitverkürzung: "Es gibt keinen Grund, warum die Geschichte im Jahr 2005 aufhören und die Arbeitszeit bei 40 Wochenstunden stoppen soll." Auch das Modell der Grundsicherung hält er für denkbar: "Die Annahme, dass sich dann alle zurücklehnen und nichts mehr arbeiten, stimmt schon deshalb nicht, weil die Leute fast immer bereit sind, Überstunden zu machen."

Langfristig müsse man ohnehin davon wegkommen, die eigene Identität an den Beruf zu koppeln - nicht nur wegen der schwindenden Erwerbsarbeit, sondern auch aus ökologischen Gründen: "Schon Karl Marx hat ja die Idee gehabt, dass man am Vormittag in der Werkstatt arbeiten und nachmittags fischen gehen soll", sagt der zweifache Vater, dreifache Großvater und siebenfache Urgroßvater verschmitzt. "Das ist ja auch produktiv - wenn man Glück hat."

BUCHTIPP:

DIE POLITISCHEN VISIONEN

GROSSER ÖKONOMEN

Von Kurt W. Rothschild. Wallstein Verlag/ Göttingen 2004. 218 S., TB, e 24,70.

Folge 3: Hans Tuppy im Porträt.

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