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Essays zur Wirtschaftspolitik

19451960198020002020

MARKTFORM, LOHNE, AUSSENHANDEL. Beiträge zur Wirtschaftstheorie und zur Wirtschaftspolitik. Von Kurt W. Rothschild. Europa-Verlag, Wien, 1966. 295 Seiten. S 118.—.

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MARKTFORM, LOHNE, AUSSENHANDEL. Beiträge zur Wirtschaftstheorie und zur Wirtschaftspolitik. Von Kurt W. Rothschild. Europa-Verlag, Wien, 1966. 295 Seiten. S 118.—.

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Der vom Europa-Verlag herausgegebene Sammelband „Marktform, Löhne, Außenhandel“ bringt Essays des von 1941 bis 1947 an der Universität Glasgow, seit 1962 an der Universität Wien (als Dozent) lehrenden, weit über die Grenzen Österreichs bekannten Wirtschaftswissenschaftlers Kurt W. Rothschild. Rothschild ist Wiener, Jahrgang 1914; nach dem Jusstudium in Wien (Promotion 1938) studierte er Nationalökonomie und Politische Philosophie in Glasgow (1940 Master of Arts). Seit 1947 ist Rothschild wissenschaftlicher Referent am österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Nunmehr ist er Ordinarius für Nationalökonomie an der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz.

Die Herausgabe des Bandes ist äußerst verdienstvoll, da eine Reihe wichtiger Aufsätze aus über zwei Jahrzehnten (teiisweise erstmals in deutscher Sprache) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In der Aufsatzsammlung sind verschiedene Themenkreise der Nationalökonomie (Monopol-, Außenhandels-, Einkommens- [Lohn-] und Integrationspolitik) vereinigt. Sie sind teilweise mehr abstrakt-theoretisch, teilweise mehr konkret-wirtschaftspolitisch ausgerichtet; ihr gemeinsames Element ist das Bemühen des Autors bei seinen Untersuchungen und Fragestellungen immer wieder die Interdependenzen von Ökonomie, Soziologie und Politik zu berücksichtigen. Bemerkenswert ist Rothschilds Einstellung zur Theorie. Sie ist für ihn nie Selbstzweck, sondern ein Mittel zur „gründlicheren Durchleuchtung unserer Umwelt, damit diese besser und menschenwürdiger gestaltet werden kann“. Diese Kriterien sollen also die wissenschaftliche Arbeit prägen. Gerade Erkenntnisse der Nationalökonomie müssen sich ja in der Wirklichkeit bewähren; die Nichtgewährung theoretischer Erkenntnisse in der Wirklichkeit bedeutet zwar nicht, daß sie nicht wahr wären, macht sie aber unzeitgemäß. Eine realistische Einstellung, eine Ausrichtung auf die dienende Rolle der Theorie darf aber nach Rothschild nicht so ausgelegt werden, daß man abstrakte, komplizierte und „wirklichkeitsferne“ Modelle überhaupt ablehnt. Ihr Wirklichkeitsgehalt mag klein sein, sie können aber wichtige Aspekte neu beleuchten. Der Weg zur Erkenntnis einer komplizierten Wirklichkeit kann eben nur über komplizierte Umwege erfolgen. Ein auf realistische Aufgaben hinzielender Standpunkt lehnt aber eine nur L'art-pour-l'art-Einstellung, ein Theoretisieren im Elfenbeinernen Turm, ab. „Eine realistische Ausrichtung sollte es ermöglichen, die Bedeutung der Theorien in einem weiteren Rahmen zu sehen und sich durch sie nicht wasserdicht von der Berücksichtigung anderer relevanter Einflüsse abschließen zu lassen.“

Stellvertretend für die zehn Aufsätze soll der Beitrag „Kleinstaat und Integration“ (1963) hervorgehoben werden. Dies aus zwei Gründen: Erstens ist er ein Beispiel dafür, daß Rothschild unermüdlich bestrebt ist, neue und wirklichkeitsnahe Fragestellungen zu finden. Zweitens beleuchtet die Problematik Kleinstaat und Integration die Situation, in der die österreichische Wirtschafts- und Außenhandelspolitik bestehen soll.

Rothschild geht dabei von einem Vergleich zwischen dem Außenhandel in bisherigen Formen und einem vollintegrierten regionalen System aus (die Frage „Integration oder Autarkie“ scheidet als unaktuell aus!). Am Beispiel des Monopols (Oligopol, Kartell, Konzern) beweist er die These, daß ein Kleinstaat, solange er nicht voll integriert ist, Chancen hat, sich gegen die Großkonzerne des Großstaates zu wehren. Durch Zölle und eigene Handels- und Währungspolitik ist der Kleinstaat imstande, sich der Großkonzerne und ihrer (der Größe adäquaten) absolut größeren liquiden finanziellen Mittel zu erwehren. „Die Berührungspunkte zwischen diesen Gedankengängen und denen der Erziehungszolltheoretiker sind offensichtlich. Hier wie dort entsteht die Forderung nach handelsregulierenden Eingriffen nicht so sehr aus einem protektionistischen Senti-ment, sondern aus einem Mißtrauen gegenüber der .optimalisierenden' Wirkung des ungehemmten Marktmechanismus. Ansonsten sind die beiden Fälle jedoch verschieden gelagert.“ Rothschild kommt zum Ergebnis, daß bei Untersuchung des Verhältnisses Staatengröße und Marktform in gewissen Fällen ein permanenter Zollschutz (oder äquivalente Maßnahmen) für gewisse Industrien entwickelter Kleinstaaten wünschenswert erscheint.

Ähnlich gelagert ist das Problem des Kapitalwanderungs- und Agglomerationsprozesses auf Kosten des Kleinstaates bei einer voll durchgeführten Integration. Die Durchsetzung eines interventionistischen Konzepts in einer marktwirtschaftlichen Großraumintegration ist eine Machtfrage, die ebenfalls mit der Staatengröße zusammenhängt. Dieser Aspekt sollte in der Integrationsdiskussion nicht übersehen werden.

Die Lösung für das Dilemma des Kleinstaates — er ist zwar an einem möglichst hohen Außenhandelsgrad interessiert, doch in der Integration von bestimmten hemmenden Tendenzen bedroht — sieht Rothschild darin, daß eine „beschränkte Integration“, also insbesondere ein Präferenzzollabkommen einer Vollintegration vorzuziehen wäre. Das sei einer der nicht seltenen Fälle, wo eine „zweitbeste“ Lösung (Fortbestand einiger Zölle) einer „besten“ Lösung (Vollintegration mit völliger Beseitigung der Zölle) vorzuziehen wäre. Man mag dazu anderer Meinung sein als Rothschild; eine irreale, unrealistische Haltung kann man ihm nicht vorwerfen. Manfrled Welan

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