Werbung
Werbung
Werbung

Der jüdische Witz dient als Schutz und Waffe. Eine Analyse anhand von Beispielen.

Jüdische Witze sind keine Witze über Juden. Während erstere - voll Humor, Philosophie und Selbstironie - meist Produkte jüdischer Denker und Schreiber sind, sind die zweiten böse und antisemitisch. Der schlimmste von der zweiten Art stammt aus der Nazi-Zeit: Ein SS-Soldat erzählt dem anderen: "Nach dem Endsieg werden wir eine Wiedergutmachungsmaschine bauen; oben schmeißt man eine Seife rein und unten kommt ein Jude raus ..."

Bedeutend harmloser, doch immer noch taktlos ist der Witz des TV-Helden Schimanski im gleichnamigen Film: Als Gott die Menschen erschuf, fragten die Juden, wie viel die Nasen kosten. Gott antwortete: "Nichts". Daraufhin erbat jeder Jude drei Stück davon. Der Witz, abgesehen von seinem dümmlichen Inhalt, ist taktlos, weil Schimanski diesen in einer jüdischen Familie erzählt. Für Juden ist es peinlich, wenn Witze über sie - und das meist gekünstelt-jiddelnd - erzählt werden. Sie beginnen meist mit: "Der Grien trifft den Koohn ...". Das sind eben keine humorvollen jüdischen Witze, sondern Witze über Juden, die Juden beleidigen - gewollt, oder ungewollt.

Die meisten jüdischen Witze, von Juden kreiert, erfüllen eine wichtige psychologische Aufgabe: sie wirken befreiend, machen verdrängte Wünsche wahr und kommen nicht zufällig aus der Traumdeutung von Sigmund Freud ("Der Witz und seine Beziehungen zum Unbewussten"). Der gute jüdische Witz dient auch der Entlarvung, der Lächerlichmachung des Antisemitismus. So erzählt Freud selbst: Diesem Mädchen geht es wie Hauptmann Dreyfuss: die Armee glaubt nicht an seine Unschuld.

Eine der besten Kenner(innen) der jüdischen Witze, Salcia Landmann, erinnert uns an die Freudsche Witzanalyse: "Die Situation, die nach Freud dem Individuum witziges Verhalten abpresst, die nutzlose innere Auflehnung gegen einen als sinnlos empfundenen Druck, wiederholt sich ... an einer ganzen Volksgruppe."

Selbstkritik

Zurecht hält Landmann den jüdischen Witz sowohl für eine "Abwehr gegen (den) Druck von außen", wie als Mittel zum "Kampf für die Forderung ..." um einen Platz in der modernen, tunlichst toleranten Gesellschaft.

Der jüdische Witz ist selbstkritisch, karikiert die eigene Geisteshaltung: Heiratskandidat zur Schadchen (Eheanbahnerin): "Ich höre, das von Ihnen vorgeschlagene Mädchen soll hässlich sein." Schadchen: "Seien Sie froh! Schöne Frauen sind untreu!" "Geld hat sie auch keines?" "Ach - reiche Frauen sind anspruchsvoll." "Der Vater soll zwei Mal bankrottiert haben?" "Na und? Heiraten Sie den Alten oder das Mädchen?" "Und hinken soll sie auch?" Daraufhin die Schadchen bitter: "Nicht einen einzigen Fehler darf sie haben?!"

Angriff als Verteidigung

Der jüdische Witz kennt keine Tabus und macht, wie auch der politische, vor Autoritäten nicht halt. So auch nicht vor der "hohen" Philosophie - samt political correctness: Ein jüdischer Bub fragt seinen Vater: "Tate, was ist die Ethik?" "Schau her: Geht ein Kunde aus meinem Geschäft und vergisst auf 20 Euro Wechselgeld, so werde ich mich fragen: Soll ich das Geld behalten oder es mit einem Compagnon teilen?"

Angriff im Mantel der Verteidigung oder übertriebene Selbstkritik ist stets das Zeichen von Minderwertigkeitskomplexen; man will damit die Schärfe der Kritik durch Selbstkritik nehmen: Am Eingang einer jüdischen Eisdiele steht eine Tafel: "Juden ist der Eintritt verboten!" Auf den lauthalsen Protest anderer Juden erwidert der Geschäftsinhaber trocken: "Haben Sie denn mein Eis schon einmal gekostet?"

Wehmütige Wunschträume kennzeichnen viele jüdische Witze; wobei sogar die Rache in friedliebende Ironie gehüllt wird: Ein jüdischer Emigrant in London zu seinem Freund in der Nazi-Zeit: "Nach dem Krieg komme ich nach Wien zurück und werde in meinem Kaffeehaus sitzen und Zeitung lesen. Es wird ein Mann kommen und sehr höflich fragen: ,Verzeihung, mein Herr. Ist diese Zeitung frei?' Und ich werde ihm antworten: ,Für Sie nicht, Herr Hitler!'"

Heutzutage gibt es kaum mehr "liebliche" Witze; weder die politischen, noch die jüdischen sind harmlos, und so ist es fast unmöglich, einen natürlich jüdischen Witz aus der Monarchie zu erzählen: Auf der Kurpromenade: "Herr Rosenzweig, haben Sie heute ein Bad genommen?" Rosenzweig, leicht indigniert: "Wieso, fehlt eines?"

Jüdische Witze kränken niemanden, sie sind nur die subtile Waffe im Kampf ums Überleben und ein Schutzschild vor der Unbill des Antisemitismus: Der Sohn eines Rabbiners lässt sich christlich taufen. Der verzweifelte Vater wendet sich direkt an Gott: "O Herr! Was soll ich machen ...?" Da ertönt es aus dem Himmel: "Mach' es so, wie ich; mach' ein Neues Testament."

Der Autor ist Gastprofessor für Soziologie an der Universität Budapest.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung