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Karikatur und Witz

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Es gibt ein Karikaturenheft von Hitler, das erlaubt war. Im ersten Augenblick wunderte man sich und konnte es nicht recht fassen. Wie war es denn möglich, daß diese Propagandavirtuosen, die unablässig das Weihrauchfaß um ihren Heros sdiwangen und die Sinne vernebelten, ihn plötzlich der allgemeinen Belustigung freigaben? Aber auch das war ein Propagandatrick, und wahrlich nicht der schlechteste, denn sie wußten, daß zu wahrer Popularität auch der Witz gehört, und Karikaturen sind Witze für die Augen. Wer dem sarkastischen oder auch nur gutmütig frozzelnden Zeichenstift verfällt, ist immer einer, der sich über die anderen erhebt. Man denke an die ungezählten Napoleon-Karikaturen, denen Mussolini nacheiferte, der, geistige Affinitäten suchend, Napoleon-Gesten und -Posen so gerne kopierte, denke an den zeichnerischen Witz, der um Bismarck und später um Wilhelm den Zweiten tobte, an das Richtschwert der „Elf Scharfrichter“, an das Phosphoreszieren des alten „Nachtlichtes“, das eines der ersten literarischen Kabaretts gewesen ist, und dem das „Werkel“ und der „Weiß-Ferdl“ der Nazizeit wienerisch und bajuvarisch nachstrebten — alles Auspuff für kräftige Geister, die mit Witzen um sich schlugen, weil gedankliche soziale oder politische Enge sie würgte. Kaum jemals war das Verlangen nach Witzen so groß, so vital, mödite man fast sagen, wie in der Hitlerepoche, wo man innere Empörung oder Verzweiflung damit beschwiditigte.

Witze haben in jener Schreckenszeit manchen Kopf gekostet und vielen die Freiheit. Sah man auf der Straße, im Kaffeehaus eine Gruppe Tuschelnder beisammenstehen, mit schmunzelnden Lippen, merkwürdig prik-kelnden Lichtern in den Augen, der ganze Körper Aufnahmsapparat, dann wußte man: „Aha, ein neuer Witz!“ Und es hätte die Gestapo eigentlich alle wie sie da waren einsperren können, jeder ein „Majestätsverbrecher“.

Auf der Plattform eines Straßenbahnwagens herrscht wildes Gedränge. Nervosität dampft. Man sieht ungute Mienen, böse Worte fallen, die Stimmung ist unheilvoll geladen. Da springt ein Witz auf, von irgend jemandem abgeschossen — alles lacht. Er kann tief, fast tödlich treffen, aber auch ein Ventil öffnen. Ein Witz kann in diesem Sinne Wunder tun, er kann Unmut, Beschimpfungen, Exzesse, vielleicht sogar Revolutionen verhindern. Vielleicht müßte man Witzbolde von Staats wegen anstellen. Es ist sicher Herrschierweisheit gewesen, die sich 3en Hofnarren gesellte. Waren die seelischen Kessel überhitzt, flugs öffnete er das Abzugsrohr. „Der süß' und bittre Narr zeigt sich Dir nun zur Stell, der Ein' in buntem

Wams, der Andre Du, 068*11!“ ...

Die Kulturgeschichte des Witzes ist ungemein interessant, nicht nur politisch, auch sozial. Wo sind die Standardfiguren der alten „Fliegenden Blätter“? Der Backfisch, die Naive, die es längst nicht mehr gibt, seit die Bähschäfdien von einst sich zu ernsten Berufen vorbereiten. Der Herr Leutnant, der vom Feschak der Sirk-Ecke ins Heldentum des Krieges wuchs. Der knöcherne Blaustrumpf, der sidi zur tapferen Frau entwickelte, die oft ganze Familien erhält. Die Schwiegermütter, die alten Tanten, die so häufig zu Retterinnen der Häuslichkeit werden. Die bierseligen Couleurbrüder, die längst keinen „Stoff“ mehr haben und bei

denen es nicht einmal mehr zu einem Trauersalamander langt. Und gar der kleine Moritz* der zur tragischen Figur ergreifender Schicksale wurde. Dann später: Die sanft albernen Bobbys, die zum großen Teil ihre altererbten Besitztümer verloren haben. Und in England die ewigen Witze über die Sparsamkeit der Schotten, und, über alles Hitlerelend hinweg, in jedem Lande Witze, die seine Politiker verulken.

Es ist natürlich kein Zufall, daß je ernster eine Epoche ist, desto reicher und verwegener ihr Witz blüht. Die wienerische Figur des lieben Augustin, die Versinnbildlichung derb-volkstümlicher Spaßhaftigkeit, ist gleichsam aus der Pestgrube gestiegen. Der Franziskaner Berthold von Regensburg im 13. Jahrhundert, der berühmte Straßburger Kanzelredner Geiler von Kaisersberg, dessen kaustischer Witz gefürchtet war, der kaiserliche Prediger Pater Abraham a Santa Clara, der in der Kutte der Barfüßermönche aus dem Augustinerorden nach dem Herzen des Volkes gewesen ist, der populäre Pfarrer Kneipp um die Jahrhundertwende, Nestroy und Oscar Wilde, Pötzl und Chesterton, Chiavacci und Fritz Stüber-Gunther, Mark Twain, Erich Kästner und Rudolf Stürzer, Literat oder Volkssänger — alles Ventil.

Volksnarr oder Hofnarr, auch das ist kennzeichnend, ob der bittersüße Spaßmacher den Herrschenden oder den Dienenden zugehört. Sein Dudelsackmotiv hat tausend Variationen. Die Zeiten haben es bald mit der Landsknechttrommel und bald mit der Schwegelpfeife, bald mit der Fiedel und mit der Flöte instrumentiert, wenn nicht gar mit der Pritsche Harlekins. Till Eulenspiegel, der Volksschalk, oder Heini von Steier, der Herr von Ofterdingen, der Rattenfänger von Hameln, der schottische Donald Caird, der Pfeifer von Dundee, sie ziehen bald in scheckigem Gewand, bald in der Soutane durch die Jahrhundarte, singend, lachend, frohlockend oder mit: herbem Spott. „Der Ein' in buntem Wams, 'der Andre Du, Gesell“. Und dieser andre, das ist jeder von uns.

Ist jetzt ein witzloses Interregnum angebrochen? Können in Hungerszeiten Witze nicht in die Halme schießen? Denn, daß man den Kleinmütigen „an Renner“ gibt, oder daß die „Cornedbeefkes“ höchst willkommen sind, scheinen nur schüchterne Witzversuche. Erst bis die Grenzen wieder sperrangelweit offen sein werden und Weltatem durch ganz Österreich wehen kann, werden sich die süß' und bitteren Narren beglückt den entscheidenden „Renner“ geben, und man wird ihnen nicht verschreckt hinter geschlossenen Türen oder mit ängstlich vorgehaltener Hand lauschen, sondern wirklich, befreit lachen. Und immer sind die Lachenden die Starken gewesen.

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