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Gescheit und böse: der 37-jährige Radek Knapp stellt die Überfluss-Gesellschaft bloß.

Die Hörerinnen waren entzückt und gleichzeitig verwirrt, als Radek Knapp in "Von Tag zu Tag" (Ö-1) auftrat. Entzückt, wie er jede Frage des wortgewaltigen Moderators mit einer Gegenfrage unterlief. Und verwirrt, weil der 37-jährige Pole mit seinem nahezu akzentfreien Deutsch eigentlich immer das Gegenteil von dem sagt, was man erwartet. Radek Knapps Buch "Papiertiger" stand zur Diskussion. 1994 ging sein literarischer Stern mit dem Erzählungsband "Franio" auf; 1999 erschien "Herrn Kukas Empfehlungen", und jetzt kennt man bereits den unverwechselbaren Ton des "Ziehsohns" von Stanislaw Lem: Es ist der eines altklugen Kindes.

Wahre Berufung

Knapps "Held" Walerian Gugania ist Ex-Student der Astronomie, Gelegenheitsarbeiter mit einem Hang zu abstrusen Jobs: Wärter eines Paviangeheges in einem Zoo, Krankenpfleger in einer Institution für Menschen, die eigentlich schon hinüber sind, Weihnachtsengel der Firma "Schenken von Oben". Irgendwann wird ihm klar, "dass er ein Problem mit dem hatte, was man als Zukunft bezeichnete. An tristen Novembertagen kam er sogar zu der Ansicht, dass er gar nicht hätte geboren werden dürfen und dass seine wahre Berufung sich so tief irgendwo versteckt hatte, dass er dreihundert Jahre hätte leben müssen, um sie endlich in irgendeinem Winkel seines Kopfes aufzustöbern."

Ein Mann, der auf die Dreißig zugeht, bisher keine außergewöhnlichen Taten vollbracht hat und auch keine solchen plant: Ein Außenseiter. Knapp ist ein verspielter Spötter. Der Außenseiter hat eine Leidenschaft. Er spielt gern jemanden, der er nicht ist. Ein Hochstapler? Mitnichten. Die Vorstellungsgespräche, von denen er sich rechtzeitig zurückzieht, erlauben ihm ein böses Spiel mit den Erwartungen ernsthafter Arbeitgeber. Ihre Ziele - einen verlässlichen jungen Mitarbeiter zu gewinnen - lassen ihn kalt. Er ist ein Möglichkeitsmensch. Bis ihn die Wirklichkeit einholt.

Er hat in langen Nachtstunden als Krankenpfleger ein Buch geschrieben, "Papiertiger", und an einen Verleger geschickt. Der bezaubert ist von dem aus dem Nichts aufgetauchten Text. Ein Wirbelsturm erfasst den jungen Mann, der seiner Berufsliste nun auch noch "Schriftsteller" hinzufügen kann. In Frankfurt ("am praktisch selbstmörderfreien Main") wird er in einem noblen Hotel installiert, erlebt eine Preisverleihung, Bewunderung schlägt ihm entgegen, sein erotischer Marktwert steigt schwindelerregend.

Und er? Er kann sich nur wundern: "Er war jedenfalls nicht derjenige, für den man ihn hielt." Die anschließende Lesereise durch deutsche Kleinstädte beschert ihm groteske Erlebnisse, bis ihn die "Debütantenallergie" befällt und er sich irgendwo hin sehnt, wo es kein Papier gibt und keine schmachtenden Damen und keine anderen Schriftsteller und niemanden, der zum Abschied statt "Auf Wiedersehen" "Man mailt sich" sagt.

"Die Tatsache, dass Tausende von Tagen auf ihn warteten, hatte ihm schon immer Angst gemacht. Er kam sich vor wie einer, der Millionen geschenkt bekommen hat, von denen er schon jetzt weiß, dass er sie entweder verschleudern oder falsch anlegen wird."

Witzig und gescheit

Gescheit ist dieses nun schon nicht mehr Wunder-"Kind". Witzig. Kann vorzügliche Dialoge schreiben, die nach der Bühne rufen. Böse ist Radek Knapp. Mit harmlos daherkommenden Worten stellt er die dumme Überfluss-Gesellschaft und ihr geziertes Getue bloß. Jetzt wäre es an der Zeit, dass er zum großen Prankenhieb ausholt. Wer so scharf denken und so gut schreiben kann, darf sich ruhig an ein großes Thema wagen.

Papiertiger.

Eine Geschichte in fünf Episoden.

Von Radek Knapp.

Piper Verlag, München, 2003.

148 Seiten, geb., e15,40.

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