Rollen-Bilder zum Nachdenken

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„Gender Check“ im Wiener MUMOK: Mehr als 400 vielschichtige Arbeiten präsentieren „Rollenbilder in der Kunst Osteuropas“. Die Schau zeigt zahlreiche hierzulande unbekannte künstlerische Positionen – manche klischeehafte Vorstellung wird zurechtgerückt.

Sie suchte einen Mann mit EU-Pass. Über 500 Bewerber antworteten auf das im Jahr 2000 im Netz veröffentlichte Nacktfoto. Sechs Monate später heiratete die Serbin Tanja Ostoji´c einen Deutschen und übersiedelte nach Berlin. Eine alltägliche Geschichte. Vielleicht. Nicht aber in dieser ästhetischen Umsetzung. Denn die junge Frau aus Belgrad ist Künstlerin, und das gesamte mehrjährige Projekt samt kritischer Befragung der Machtverhältnisse und Rollenklischees findet sich derzeit im Museum Moderner Kunst in Wien dokumentiert. Es ist nur eine von mehr als 400 vielschichtigen künstlerischen Arbeiten der Ausstellung „Gender Check“ – eine Mega-Präsentation über die „Rollenbilder in der Kunst Osteuropas“, die sich über vier Ebenen des Museums erstreckt.

24 Länder, über 200 Künstler

Initiiert wurde die Ausstellung vor über zwei Jahren von der Erste-Stiftung, die die renommierte Belgrader Kuratorin und Kunsthistorikerin Bojana Peji´c beauftragte, ein Konzept anlässlich des 20-jährigen Falls des Eisernen Vorhangs zu erstellen. Peji´c – unter anderem als Chefkuratorin der Wanderausstellung „After the Wall“ (2000) bekannt – entwickelte das Projekt „Gender Check“: „Meine Idee war es, sozialistische – offizielle wie auch inoffizielle – Kunst aus einer feministisch-theoretischen Perspektive zu betrachten und die darin herrschenden Geschlechterrollen zu untersuchen.“ Gemeinsam mit einem Expertenteam aus 24 Ländern trug sie Werke von über 200 Künstlerinnen und Künstlern aus Osteuropa seit den 1960er Jahren zusammen und gruppierte sie nach Themen wie „Frauen bei der Arbeit, Männer bei der Arbeit“, „Nationalismus und Kritik“ oder „Die Wiederfindung der Vergangenheit nach 1989“.

Ein spannender Ansatz, der die regimetreue und regimekritische Kunst in Osteuropa im Kontext der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen beleuchtet und zahlreiche, hierzulande unbekannte künstlerische Positionen vorstellt. Auch so manche klischeehafte Vorstellung wird zurechtgerückt. So zeigt „Gender Check“ im Eingangsbereich, dass es entgegen der weit verbreiteten Vorstellung auch zu Zeiten des Sozialistischen Realismus nicht nur das Bild der körperlich schwer arbeitenden Frau gab wie auf Oleksandr Yudins „Gruppenporträt der Industriearbeiterinnen“ (1982), sondern dass eine Vielfalt an Frauenbildern dargestellt wurde. Thematisiert wird auch die Mehrfachbelastung von Frauen – so sieht man auf dem Ölbild des Malers Horst Sakulowski „Porträt nach Dienst“ (1976) aus DDR-Zeiten eine Ärztin, die in ihrem Sessel erschöpft eingeschlafen ist.

Gegenwärtige Arbeiten sprechen die neuen Möglichkeiten an, die sich durch den Fall des Eisernen Vorhangs ergaben. Sie sparen aber auch Schattenseiten nicht aus. So haben die Künstlerinnen Anetta Mona Chisa und Lucia TkáÇcová in einer Galerie in Bratislava ein Projekt veranstaltet, bei dem sie arbeitslose slowakische Frauen die Arbeitslosenstatistik in traditionelle Spitzendecken sticken ließen.

Konvention und Überschreitung

Im Zentrum des Bereichs „Alles über Männer: Konvention und Überschreitung“ stehen kritische Revisionen von Männlichkeitsbildern. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren haben Künstler die Rolle des öffentlich präsenten, machthabenden Mannes in Frage gestellt und sich etwa auf Fotos als verletzlicher, leidender Mann in der christlichen Tradition der Sebastians-Darstellungen porträtiert wie der Pole Jerzy Bere´s. Seit dem Mauerfall wird auch Homosexualität offen in der Kunst angesprochen. Interessant ist die Beobachtung, dass gewisse Kunstentwicklungen in West- und Osteuropa trotz der unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Situation parallel verliefen.

Auch wenn Thematik und Einzelwerke überzeugend sind, weist die Ausstellung Schwächen auf. Aufgrund der Überfülle an Exponaten und Unterthemen verliert man als Besucher mitunter den Überblick, vor allem was einen differenzierten Blick auf einzelne Länder betrifft, die ganz unterschiedliche Geschichten haben. Die historische Entwicklung von den 1960er Jahren bis heute lässt sich besser im Katalog als während des Rundgangs nachvollziehen – und auch so mancher Blickwinkel erschließt sich erst durch das Lesen der Katalogtexte. Nichtsdestotrotz trägt der Besuch der Schau wesentlich zum Nachdenken bei: über das Verhältnis der Geschlechter, über die Beziehung zwischen West- und Osteuropa und über die mediale Entwicklung der Kunst seit den 1960er Jahren. Und das ist an sich schon mehr, als man von einer einzigen Ausstellung verlangen kann.

Gender Check. Rollenbilder in der Kunst Osteuropas

MUMOK, Museumsplatz 1, 1070 Wien

bis 14. Februar 2010, Mo–So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr

Katalog, hg. von Bojana Pejic und MUMOK, Köln 2009, 392 S., e 35,–

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