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Der geistliche Charakter der kirchlichen Gerichtsbarkeit

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Univ.-Dozent DDr. Alexander Dordell: Eine rechtshistorische Studie über die Bestrebungen der Antikurialisten zur Beschränkung der „iurisdictio coactiva". Verlag Dordett, Wien. 223 Seiten. 100 S.

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Univ.-Dozent DDr. Alexander Dordell: Eine rechtshistorische Studie über die Bestrebungen der Antikurialisten zur Beschränkung der „iurisdictio coactiva". Verlag Dordett, Wien. 223 Seiten. 100 S.

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Die kirchliche Gerichtsbarkeit wird in dem vorliegenden Werk im Zusammenhang mit der Strafgewalt betrachtet. Die Frage richtet sich nach den Grenzen der Strafgewalt, und es wird versucht, die geschichtliche Antwort zu finden. Darf die Kirche nur rein geistliche Strafen — wie etwa den Kirchenbann — auferlegen oder auch zu nichtgeistlichen Sanktionen, den sogenannten „zeitlichen Strafen", schreiten?

Im Lager der „Antikurialisten" war die Antwort ablehnend. Die Kirche als eine geistliche Institution muß nach ihrer Meinung auch in Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit den geistlichen Charakter der Strafen wahren. Dabei unterlaufen aber den Antikurialisten drei verhängnisvolle Verwechslungen: 1. Die Frage der Gerichtsbarkeit wird zu einem Politikum. Der Landesfürst ist Herr aller zeitlichen Dinge, die Kirche verfügt nur über rein geistliche Hilfsmittel. Ein Anspruch auf nichtgeistliche Mittel wäre eine Einmischung in die Rechte des Landesfürsten. Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat hat sich hier ausgewirkt und eine aus der richtigen Strafökonomie geborene Betrachtungsweise ausgeschaltet. 2. Die Strafgewalt wird mit der Zwangs- gewalt verwechselt. Wenn die Kirche zeitliche Strafen auferlegen will, dann muß sie, so fürchten die Antikurialisten, auch über Waffengewalt verfügen und könnte staatsgefährlich werden. Drittens werden gegen die zeitliche Strafgewalt der Kirche Bedenken erhoben mit Berufung auf das Prinzip der Toleranz, etwa mit folgender Schlußfolgerung: Zeitliche Strafen setzen Zwangsanwendung voraus, Zwangsanwendung richtet sich gegen die Freiheit, Freiheitsverletzung widerspricht der Toleranz. Aus dem Gedanken der Toleranz wurde somit die Ablehnung zeitlicher Strafen abgeleitet.

Bei Argumentationen dieser Art stehen zwei , Männer im Mittelpunkt der Betrachtung: M a r- silius von Padua und Wilhelm von Ockham, die beide im 14. Jahrhundert auf

Seite Ludwig des Bayern gegen die direkte päpstliche Gewalt in zeitlichen Dingen kämpften.

Der erste Teil des Werkes klärt die theologisch- rechtlich-politischee Begriffe, wie „zeitliche Machtfülle", „zwei Schwerter", „Verleihung der Gewalt", „Uebertragung des Reiches" usw. Das Bestreben des Verfassers wird schon im ersten Teil ersichtlich: Päpstliche Machtfülle in zeitlichen Dingen die kirchliche Strafgewalt auseinanderzuhalten, Begriffe, die von beiden Parteien — Ku- rialisten wie Antikurialisten — in bedenkliche Nähe zueinander gebracht wurden. Der zweite Teil zeigt die geschichtliche Entwicklung und strebt die Synthese der vorangegangenen Konflikte an. — Der Bogen wird dann weiter gezogen, das Fortleben der Ideen eines Marsilius und Ockham in der programmatischen Schrift des frühen Galli- kanismus, des „Somnium viridarii", und im Schrifttum französischer Theologen wie Gerson, d’Ailly und Almain nachgezeichnet. — Der dritte Teil verfolgt das weitere Schicksal dieser Ideen, die — wenn auch unter anderen Voraussetzungen — im Gallikanismus, Protestantismus, Josephinismus und der Naturrechtsschule weitergelebt haben. —- Im Nachwort verweist der Autor auf die Verwechslungen und deutet zugleich den Weg an, der beschritten werden muß, wenn mit zeitgerechten und sachlichen Argumenten die Grenzen der geistlichen Gerichtsbarkeit abgesteckt werden sollen. Damit hat Dordett bereits zum zweiten Band des Werkes, einer von ihm geplanten Studie über die Grenzen der kirchlichen Strafgewalt, übergeleitet. Es ist zu hoffen, daß er mit dieser geplanten rechtsdogmatischen Studie in die Gegenwartsproblematik (staatliche Omnipotenz!) hineinleuchtet und damit die vorliegenden Ausführungen abrundet.

Das Werk des Wiener Dozenten für Kirchenrecht ist mit größter Gelehrsamkeit gearbeitet und darf über den kirchenrechtlichen Bereich hinaus auf lebhafte Anteilnahme rechnen.

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