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Wenn der Bronnen zum Becher geht

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Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers. Rowohlt- Verlag. Hamburg 1954. 493 Seiten.

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Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers. Rowohlt- Verlag. Hamburg 1954. 493 Seiten.

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„Der Becher geht so lange zum Bronnen, bis ei Brecht": dieses Apcręu machte im Berlin der bewegten zwanziger Jahre die Runde. In jenem Berlin, in dem der Kaiser gegangen, die Generale abei geblieben waren, Spartakus marschierte, die Mark ins Uferlose stürzte, der Shimmy zum Totentanz einer zwielichtigen Gesellschaft wurde und von den Bühnen wie in den Kunstausstellungen das provokante „Epatez le bourgeois" einer alle Schranken und Konventionen hemmungslos durchbrechenden Generation ertönte. Es war eine hektische Zeit, zu der die aus dem zweiten Weltkrieg entlassenen Menschen keinerlei Beziehung mehr haben. Unter den „wilden Männern", in der vordersten Front der „Avantgarde" (oder was sich so nannte) stand eben Bertolt Brecht, Johannes R. Becher gesellte sich hinzu, und bald war auch ein noch nicht 30 Jahre alter, in Wien geborener Literat mit von der Partie: der Sohn des Wiener Mittelschulprofessors Dr. Ferdinand Bronner, Arnold Bronner, der sich mit Vorliebe Arnolt Bronnen schrieb. Jede Zeile, die sie veröffentlichten, war eine Anklage gegen die bestehende Gesellschaft, auf Schritt und Tritt schrien und spien sie ihre Verachtung dieser Welt ins Gesicht.

Seitdem sind über 30 Jahre vergangen. Was ist aus jenen Feuergeistern und Kämpfern einer besseren Welt geworden? Die Antwort könnte schadenfroh ausfallen — wenn sie nicht eigentlich traurig wäre. Der Verfasser der „Dreigroschenoper" und der „Mutter Courage" dichtet die turkmenische Hirse an und schickt Loyalitätsprogramme, wenn Arbeiter, die für die Freiheit und Brot auf die Straße gegangen waren, zusammengeschossen wurden.

So geschehen am 17. Juni 1953 in jenem Staat, in dem niemand anderer als Johannes R. Becher Kultusminister ist und in dem erst unlängst wieder der gequälte Ruf nach „mehr Sauerstoff für das geistige Leben" ertönte. Und Arnolt Bronnen? Nun, Arnolt Bronnen weilt mitten unter uns, hat das Mitgliedsbuch einer von vier Abgeordneten im österreichischen Parlament vertretenen Partei in der Tasche und schreibt für deren Presse. Außerdem hat er ein Buch geschrieben, mehr noch: eine Lebensbeichte abgelegt, in der er schildert, wie es gekommen ist, daß jetzt der Berg zum Propheten, der Bronnen zum Becher geht.

Eigentlich sollte der Titel des vorliegenden Buches „Der Umweg" heißen. Denn sein Verfasser war nicht immer auf „Linie". Die anarchistischen literarischen Jugendjahre könnte man noch übersehen, aber dann kamen Bücher und Bühnenwerke, die ihrem Verfasser nicht zu Unrecht den Vorwurf des „Salonfaschismus" eintrugen. Von den Wirkungen von O. S., einem Buch, das die Freikorpskämpfe in Oberschlesien gegen die Polen behandelte, stellt sein Autor -— auch heute noch mit einem Anflug von Stolz — fest: „Ich hatte, so glaubte ich, mit O. S. eine Lawine losgetreten, das sogenannte nationale Buch schoß nun allerorten von den Hängen herunter und verschüttete das ganze Tal der Dichtung." Wenn man Bücher wie O. S. und eine Apotheose des Freikorpsführers Roßbach geschrieben hat, eine Zeitlang zum Freundeskreis Dr. Goebbels gehörte, mit Hans Fritsche vertrauten Umgang pflog, auch nach 1933 sich an maßgebender Stelle im Reichsrundfunk herumtummelte und — trotz aller Mentalreservationen — im Kriege für das Auswärtige Amt Propagandabroschüren lieferte: da braucht es schon eines ordentlichen Purzelbaums, um in der neuen politischen Heimat zu landen.

Wenn Ernst von Salomon, mit dem Bronnen übrigens einige Male Tuchfühlung hatte, die Form des amerikanischen „Fragebogens" zu seiner literarischen Rechtfertigung gewählt hat, so entschloß sich Arnolt Bronnen — chacun ä son goüt —, die

Selbstanzeige gegen sich zu erstatten und ein 493 Druckseiten umfassendes Protokoll, unterbrochen son scharfen Interjektionen der Anklage (Frau Justizminister Hilde Benjamin in Berlin-Ost könnte so sprechen . ..) zu Papier zu bringen.

Die in diesem Protokoll enthaltene Geschichte vom verleugneten Vater — Bronnen hatte zeitweise „den Professor" Dr. Ferdinand Bronner als Vater abgestritten und seine Mutter Eide schwören lassen — haben einem Kritiker über Bronnens Leben und Schaffen nicht zu Unrecht das Wort „Unternehmen Vatermord" setzen lassen. Wir wollen darauf nicht eingehen, erlauben uns aber zu bemerken, daß diese auch in dem vorliegenden „Protokoll" nicht ganz aufgehellte Causa (Bronnen scheut ein entschiedenes Ja oder Nein) nicht dazu angetan ist, Sympathien für den Autor zu wecken. Auch der Exhibitionismus, mit dem verschiedene Verirrungen junger Jahre ausgebreitet werden, wirkt nur peinlich. Diese Bekenntnisse stehen übrigens in direktem Gegensatz zu den harten Tadelsworten, mit denen der Filmkritiker des „Abend" — niemand anderer als der jetzt 50jährige Autor — gegen „westliche Dekadenz" eifert.

Eigenartig ist Bronnens Verhältnis zu seiner Heimat, zu Oesterreich. Ihr widmet er in den letzten Abschnitten glühende Worte der Zuneigung und Ergebenheit. Weiter vorne aber, bei der Schilderung eines Kriegsgefangenenerlebnisses aus dem ersten Weltkrieg, in dem ein italienischer Offizier Maschinengewehre gegen die Gefangenen in Stellung brachte und ihnen mit dem Erschießen drohte, können wir lesen: „Dergleichen konnte man nur in Oesterreich gelernt haben" (S. 72). Und als er 1919 über den Inn nach Deutschland fährt, vermeint Bronnen „eine ganz andere Luft als in Oesterreich" zu spüren. „Die Bahnen fuhren schnell, sauber, pünktlich …" (S. 86). Auch als er als Trotzkist des Nationalsozialismus sich nach 1933 von seinen zeitweiligen politischen Freunden abwendet und vom Dollfuß-Mord als von der „dritten faschistischen Greueltat während eines Jahres" spricht, kommt er nicht auf die Idee, in das damals noch selbständige, schwer ringende Oesterreich zurückzukehren. Bronnen bleibt — wenn wir seinem Zeugnis Glauben schenken wollen unter Aechzen und Stöhnen — in Berlin.

Es macht uns keine besondere Freude, am Scherbengericht über einen Menschen teilzunehmen, der nach einer haltlosen Jugend in den Strahlungsradius einer totalen Macht gekommen ist und sich dabei ordentlich die Flügel verbrannt hat. Man könnte mit Schweigen über den doppelten „Fall Bronnen" zur Tagesordnung übergehen, wenn nicht Bronnen selbst ein Urteil von dem „hohen und richtenden Leser" heischte und wenn nicht, ja wenn nicht außerdem die Motte schon wieder dem lockenden, verderblichen Feuer zuflöge …

Gebrannte Kinder scheuen das Feuer. Das mag stimmen. Nicht aber gebrannte Literaten. Aus dem Bannkreis der braunen Diktatur entlassen, ist Bronnen in den Bannkreis jener der roten Spielart geraten. Ob er sich dort heute sehr wohl fühlt oder ob er nicht schon wieder nur mit zusammengebissenen Zähnen „weiterdient"? Allerdings hat er sich diesmal entschlossen, das mildere österreichische Klima dem durch die Berliner Stalin-Allee fegenden scharfen Ostwind vorzuziehen. Dort könnte er übrigens jenen Typen wieder begegnen, die er als junge Hitler-Offiziere in Znaim (S. 458) charakterisiert.

Was bleibt, „wenn der Bronnen zum Becher geht"? Nicht Haß und Verachtung, vielmehr nur Enttäuschung. Es gab immerhin einmal einen jungen ungegorenen Wein, eine große, inzwischen enttäuschte literarische Hoffnung, die Arnolt Bronnen hieß.

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