"Datenjäger"

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Staat und Wirtschaft sammeln mehr Daten als uns lieb ist.

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Staat und Wirtschaft sammeln mehr Daten als uns lieb ist.

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Die "Datenjäger" sind los. Sie speichern Informationen über uns - im Betrieb, mit Kundenkarten, im Supermarkt, beim Adressenhandel. Staat und Wirtschaft sammeln mehr Informationen über uns, als uns lieb ist. In den Betrieben werden modernste Überwachungssysteme eingesetzt. Ohne unser Wissen werden wir beim Einkaufen im Supermarkt erfaßt und charakterisiert. Auch die Banken kennen unsere finanziellen Verhältnisse.

Es sind nicht nur die Ziffern auf den Kontoauszügen, die uns verraten. Es sind auch die Worte vor den Geldbeträgen, mit denen wir charakterisiert und in Datenbanken eingespeichert werden können: Daueraufträge für Telekom oder an die Elektrizitätswerke lassen erahnen, ob wir viel telefonieren, viel Strom verbrauchen. Wer einen Bausparvertrag hat, sollte sich nicht wundern, wenn ihm kurz vor Ablauf des Vertrags ein neuer angeboten wird.

Die computerunterstützte Datenverarbeitung und die Möglichkeit der Vernetzung verschiedenster Datenbanken machen den Alltag scheinbar leichter. Aber diese "Erleichterung" wird zunehmend zum Bumerang für Benützer und Konsumenten.

Fallbeispiel Betrieb: Jeder zweite Angestellte wird in seinem Betrieb bereits mit komplizierten Computersystemen überwacht, schätzen Mitarbeiter der Gewerkschaft der Privatangestellten. Mit unbewußter Selbstverständlichkeit ziehen hunderttausende Angestellte ihre Chip-Karten aus der Tasche, wenn sie das Bürogebäude betreten. Diese Karten öffnen aber nicht nur Türen und Drehkreuze, sie können auch Stechuhr sein, Kantinenausweis und die Computerberechtigung.

Genau wird dokumentiert, wann die Angestellten ins Büro kommen, wie lange sie den Computer bedienen, wie lange sie in der Kantine sitzen - manchmal sogar das, was dort konsumiert wird, denn mit manchen Karten kann auch das Kantinenessen bezahlt werden. Die Beträge werden von der Karte oder sogar direkt vom Konto des Angestellten abgebucht - wodurch natürlich seine Ernährungsgewohnheiten bekannt werden: Wer schwere Mahlzeiten zu sich nimmt, könnte anschließend ja unkonzentriert sein, man weiß auch, wer sich zum Gulasch ein Bier genehmigt ...

Jedoch: "Ein Unternehmen darf derartige Überwachungssysteme nur dann einführen, wenn der Betriebsrat zustimmt. Gibt es keinen Betriebsrat, müssen die betroffenen Arbeitnehmer selbst einverstanden sein", so die Meinung von Arbeitsrechtsexperten. "Unzulässig sind Systeme, die die Menschenwürde berühren, zum Beispiel, wenn der Arbeitsbereich eines Bankangestellten ständig mit einer Videokamera überwacht wird."

Auch als Kredit- und vor allem als Kundenkarte erfreut sich das "bunte Plastik" steigender Beliebtheit. Mit Bankomatkarten lassen sich mit Leichtigkeit Bewegungs- und Nutzungsprofile erstellen. Nicht weniger problematisch sind die Millionen von Kundenkarten, für die es drei Prozent Rabatt, Sonderpreise bei ausgewählten Produkten und spätere Abbuchung des Kaufpreises vom Konto gibt. Dabei verkaufen Kunden (unbewußt?) ihre Identität. Man sollte Kundenkarten deshalb nur dort akzeptieren, wo es egal ist, daß Gewohnheiten bekannt werden.

Riskant sind Karten im Lebensmittelhandel. Marketing-Strategen entwickeln Bilder von Kunden, die mit der Realität nicht unbedingt ident sind. Kunde X kauft beispielsweise zwei Kisten Bier pro Woche - also dürfte er Alkoholiker sein. Er greift ständig zu Schweinefleisch, zu fettem Käse und selten zu Obst und Gemüse - also hat er vermutlich erhöhte Cholesterinwerte.

Die wenigsten wissen, daß in Supermärkten die "Rasterfahndung" angewandt wird. Die Daten der Scannerkassen landen in einem Zentralcomputer. Dann wird zum Beispiel festgestellt, daß viele Kunden Sekt immer gemeinsam mit Orangensaft kaufen. Es gibt zahlreiche solcher Produktkombinationen. Bei Sonderangeboten gibt es deshalb den entsprechenden "Gegenartikel". Wenn bei Produkt A der Preis durch ein Sonderangebot nach unten geht, wird er gleichzeitig bei Produkt B angehoben. So können die Konzerne immer gleiche Gewinne einkalkulieren.

Die "Datenjäger" arbeiten zusammen - Konzerne mit Adreßhändlern, Unternehmen mit Lieferfirmen. Wer eine Kundenkarte ordert, vergißt meist aufs Kleingedruckte. Dort ist zu lesen, daß die Daten an befreundete Unternehmen weitergegeben werden können. Ohne es zu wollen, ist man plötzlich in einer Datenbank der 40 österreichischen Adreßhändler.

In Österreich hat man aber zumindest die Chance, sich auf die "Robinson-Liste" beim Fachverband Werbung (1040 Wien, Wiedner Hauptstrasse 63) setzen zu lassen. Wer hier aufscheint, bekommt keine persönlich adressierte Werbung zugeschickt. Gegen Postwurfsendungen hilft ein "Werbung, nein danke" Kleber.

Buchtip "Im Visier der Datenjäger".

Von Gerald Reischl, Verlag Ueberreuter, 222 Seiten, öS 291,-/D 21,15

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