Werbung
Werbung
Werbung

Auch die ideologische Welt ist keine Scheibe: Die Extreme berühren einander. Aktuell lässt sich das etwa anhand der Apologeten und Adoranten des russischen Präsidenten Wladimir Putin exemplifizieren. Diese im medialen Jargon gerne salopp "Putin-Versteher" genannte Gruppe umfasst gleichermaßen Rechte wie Linke, übrigens analog zu Antiamerikanern,-kapitalisten,-zionisten und ähnlich Gesonnenen. In Österreich kommt zum Prinzipiellen noch ein habitueller Unterwerfungs-bzw. Anbiederungsgestus im Umgang mit Potentaten aller Art dazu. Man erinnere sich, um bei Putin zu bleiben, an dessen Stippvisite im Österreich-Haus bei den diesjährigen Winterspielen in Sotschi oder den Besuch bei der "guten Diktatur" (© Putin) Wirtschaftskammer Österreich im vergangenen Juni.

Die lange Geschichte einschlägiger Peinlichkeiten wurde zuletzt durch den bizarren Auftritt des freiheitlichen Wiener Klubchefs Johann Gudenus in Moskau um eine besonders markante Episode angereichert. Die Sache war insofern nicht überraschend, als sich die FPÖ schon bisher betont russlandfreundlich gegeben hatte - was sich gewissermaßen als Kehrseite ihrer antieuropäischen bzw. -westlichen Medaille verstehen lässt. Was das Setting und den Grad der Affirmation betrifft, wurde hier aber doch eine neue Dimension erreicht.

Lautes Pfeifen im Wald

Die eigentliche Brisanz der Geschichte dürfte freilich in der tagesaktuellen, in seltener parteiübergreifender Einigkeit artikulierten Empörung untergehen. Oder muss man in manchen dieser Reaktionen auch das sprichwörtliche Pfeifen im Wald hören? Denkbar wäre es immerhin, dass die helleren Köpfe unter den politischen Protagonisten ahnen, dass Gudenus da einen neuralgischen Punkt getroffen hat. Das zu sagen bedeutet nicht im mindesten ihn zu verteidigen, im Gegenteil: Man muss ihn für seine Aussagen der Form und dem Inhalt nach scharf kritisieren. Aber es wäre fahrlässig den Resonanzraum der Aussagen Gudenus' zu ignorieren, zu übersehen, dass es ein weit verbreitetes geistig-kulturelles Unbehagen gibt, dem Putin-Russland als Projektionsfläche durchaus taugen kann - und welches das Substrat bildet, auf dem zumindest partielle Zustimmung zu FPÖ-Positionen gedeiht.

Erosion der bürgerlich-liberalen Ordnung

Ausgehend vom konkreten Anlassfall: Die Schrillheit und Exaltiertheit von vielem, was im weitesten Sinne unter dem Label "Gender" geschieht, irritiert auch jene, die keinen Verschwörungstheorien von "Homosexuellenlobbys" anhängen (die es natürlich wie andere Lobbys auch gibt). Aktionen wie jene der Femen-Aktivistinnen lehnen auch solche ab, welche das drakonische Vorgehen Russlands gegen jene nicht in Ordnung finden. Generell: die schleichende Erosion dessen, was man die "bürgerlich-liberale Ordnung" nennen könnte, verstört weit über konservativ-katholische Kreise hinaus -und mit Sicherheit auch noch solche, die selbst nur sehr bedingt im Sinne dieser Ordnung leben.

Dem ist mit Empörung allein nicht beizukommen, noch weniger mit der Pose moralischer Überlegenheit. Gerade wer die "westlichen Werte" - Aufklärung, Pluralismus, Liberalität etc. - schützen will, wird um die Einsicht nicht herumkommen, dass sich diese unsere Gesellschaft nicht aus sich selbst heraus begründen kann -polemisch gesagt: durch ständiges wechselseitiges, womöglich "Seitenblicke"-taugliches Schulterklopfen der politmedialen Eliten, mittels dessen man sich der eigenen Anständigkeit versichert. Die "richtige Gesinnung" lässt sich nicht von oben dekretieren -nicht von europäischen Institutionen, nicht von der veröffentlichten Meinung. Wer die Diskurshoheit gegen Putin-Versteher und Antieuropäer/-westler aller Art verteidigen will, wird um eine offen-kritische ideengeschichtliche Selbstvergewisserung nicht herumkommen.

rudolf.mitloehner@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung