UN Headquarters - © Foto: iSotck / S. Greg Panosian

„Es gibt nicht nur die eine Wahrheit“

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Nora Bossong zeigt in ihrem bemerkenswerten Roman „Schutzzone“ Missionen der Vereinten Nationen von innen und entfaltet dabei eine komplexe Welt mit all ihren Widersprüchen und Irritationen.

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Nora Bossong zeigt in ihrem bemerkenswerten Roman „Schutzzone“ Missionen der Vereinten Nationen von innen und entfaltet dabei eine komplexe Welt mit all ihren Widersprüchen und Irritationen.

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Burundi im Oktober 2012. Es ist die Zeit nach dem Genozid. Eine UN-Mitarbeiterin hat ihren „ersten Einsatz in einer Mission“. Sie beaufsichtigt die dort zur „Aufarbeitung der Völkermorde in den Jahren 93, 88, 72“ eingesetzte Wahrheitskommission. „Es gab Erinnerungen. / Es gab Wut. / Es gab Angst. / Es gab die Lebenden und die Toten und die dazwischen.“ Auf der Fahrt zum gesuchten General Aimé wird Mira eine Augenbinde angelegt. Niemand – nicht einmal ihre Organisation – darf wissen, wo das heikle Treffen mit ihm stattfindet. Und plötzlich sieht sie sich in einer höchst zwiespältigen Situation: Sie steht „mit einem Mörder am Grill“ und diskutiert mit ihm über Fragen der Menschlichkeit.

Friedenssicherung mit geheimen Aufgaben, schwierige Verhandlungen, in denen man auch mit Kriegsverbrechern am Tisch sitzt, der Fokus auf die Menschenrechte – das Aufgabenfeld der Vereinten Nationen ist vielfältig und komplex, manches bleibt überhaupt unlösbar. Die deutsche ­Autorin Nora Bossong hat diese Organisation in ihrem neuen Roman „Schutzzone“ zum ­Thema gemacht.

Anspruchsvolles Crossover

Auf die Frage, was sie gereizt habe, die Schauplätze in einer „relativ unattraktiven Umgebung“ anzusiedeln, antwortet Bossong dem Deutschlandfunk, es hätten sie die Widersprüche der Vereinten Nationen interessiert und die Menschen, die in dieser auch von Bürokratie bestimmten Organisation arbeiten. Der Traum von einer gänzlich „befriedeten Welt“ sei ja eine Utopie. Während ihrer Arbeit am Roman hat Bossong sehr umfangreich vor Ort recherchiert. Der Text basiert daher nicht nur auf Interviews mit UN-Angestellten, sondern auch auf Reisen zu den Schauplätzen, die zentral für dieses Werk sind. Historisches wird dabei mit Fiktionalem verwoben.

Bossong bietet hier ein sehr anspruchsvolles Crossover aus überaus dichten Erzählflächen, die miteinander zu tun haben und unterschiedliche Fenster in die Vergangenheit freigeben, sich jedoch bei der Protagonistin Mira bündeln. Dabei zieht sich die Auseinandersetzung mit Schutzzonen als motivisches Wasserzeichen durch den Text. Sie entfalten ihre Bedeutung in vielfältigen Facetten, zeigen sich fragil, unbeständig, gehen manchmal schon in der Kindheit verloren und können auch politisch oft nicht gewährleistet werden.

Mira verbringt als kleines Mädchen, als sich ihre Eltern trennen, einige Zeit im Haus einer Freundin ihres Vaters. Ihre Situation in dieser Diplomatenfamilie ist ebenso traurig wie bitter: „Ich lag in einem Kinderbett, das nicht meines war: Ich hatte einen Bruder, der nicht meiner war. Ich hatte eine Familie, in die ich nicht gehörte. Aber sie war das Einzige, von dem ich annahm, es könnte bleiben.“ Darius, der Vater der neuen Familie, ist ständig auf Reisen, unterwegs in politischer Mission. Sein Sohn Milan hat oft Angst um ihn.

Einige Jahre später ist Mira in New York. Das Gebäude der Vereinten Nationen symbolisiert für sie die reale Welt im Vergleich zu ihrem „Provisorium“. Damals kellnert sie neben dem Französisch-Lernen in einer Bar in Brooklyn. Eines Abends bedient sie zufällig den UN-Mitarbeiter Daven, der dort sein Bier trinkt. Er lädt sie spontan zu einem Bewerbungsgespräch ein. ­Mira bekommt den Job und lernt die Organisation von innen kennen: die Skandale, die Depressionen, „die glamourösen Empfänge“, die Berichte, „die Sackgassen“, „das Licht der aussichtslosen Verhandlungen“.

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