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Das Familientreffen

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Gasthof Waldfrieden: hier kommt unser Clan bei allen Familienfestlichkeiten und Leichenschmäusen zur vollen Entfaltung — immer eine imponierende Demonstration zum Sprichwort: Freunde kann man sich aussuchen, die Familie nicht.

Die Gruppenbildung während des Zusammenwartens dient hauptsächlich dem gegenseitigen Ausrichten. In jahrelanger Beobachtung konnte ich allerdings feststellen, daß das Feierobjekt

dazu am wenigsten Gelegenheit hat, steht es doch im Mittelpunkt aller Ehrungen. Es kann sich nur trösten: beim nächsten Mal trifft es jemand anderen!

Fest- und Menüfolge ist seit Jahrzehnten die gleiche, eine Verbeugung vor Omas Galle, Opas Zucker und Tante Emmas chronischem Sodbrennen. Jeder zaghafte Änderungsversuch scheiterte bisher am Veto Onkel Gustavs, der sich gleich einem Zeremonienmeister um alles alleine kümmert.

Zu Beginn an festlich gedeckter Tafel das obligate Generationen-lächelfoto: nach mehrmaligem Köpfetauschen und Indiekniegehen längeres Ausharren in Hexenschußposition.

Nach der Grießnockerlsuppe Onkel Gustavs launige Festrede, wobei es mich jedesmal wundert, daß er bei immer gleichbleibendem Text noch nie den Anlaß verwechselt hat.

Zwischen Kalbsragout und Nachspeise dann die ausgedrückte Rührung des jeweiligen Gefeierten über die Schönheit des Tages und der Geschenke.

Dem Mahle hat - laut Onkel Gustav — der gemütlich-plauschige Teil zu folgen. Nur Tante Emmas Kleine, einer fetten Made nicht unähnlich, frißt weiter Schlagobers in sich hinein, daß mir beim bloßen Zuschauen schlecht wird. Mein fragender Blick entlockt der Mama aber nur ein seliges Lächeln: „Süß, der Appetit, nicht wahr?!“

Während Großvater diesmal Schwager Gottfried zum Opfer für seine Abenteuererzählungen von der Westfront kürt, geraten sich Tante Hannas Franzi und unser Ältester ziemlich bald in die Wolle, welches Auto wohl „mehr mache“. Als am Höhepunkt der

Kontroverse die Köpfe röter und der Tonfall lauter werden, will Onkel Gustav schlichtend einschreiten. Daß der Franzi ihn dafür einen technischen Ignoranten bezeichnet, bleibt vermutlich un-verziehen.

Ebenfalls genügend Gelegenheit zu rassigen Meinungsverschiedenheiten bietet das weite Feld der Politik. Kaum zu glauben, welch staatspolitische Größen unsere Familie bei sinkendem Flaschenspiegel und steigendem Blutdruck hervorzubringen vermag ...

Wenn die große Tafel im Extrazimmer vom „Waldfrieden“ nur mehr einem Schlachtfeld gleicht, Hanna und Irmi sich in großmütterlichem Goderlkratzen überbie-

ten, um ihr die Perpendikeluhr abzuluchsen, dann ist es Zeit, daß der Herr es Abend werden läßt.

Küßchen hin und Wünsche her, Grüße an alle, die heute - ach wie schade — nicht dabeisein konnten, und der innige Trost: das nächste Familientreffen kommt bestimmt!

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