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Die junge Garde

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Unter der künstlerischen Leitung von Frau Prof. Iwanowa von der Moskauer Lunatscharski-Akademie gastierten an zwei Abenden 15 meist junge sowjetische Solotänzer in Wien. Sie führten eine lange Reihe von Pas-de-deux vor, ungefähr zwanzig, sowie einige wenige Solonummern. Neben den bekannten klassischen Piecen aus „Dornröschen“, „Schwanensee“, „Raymonda“ und „Le Corsaire“ von Adam sah man auch einige weniger bekannte Choreographien, meist aus dem 19. Jahrhundert bzw. im Geist des 19. Jahrhunderts. Davon waren auch die Kompositionen Schostako- witschs, Melikows und einiger anderer nicht ausgenommen (nur Rodion Schtschedrins Variation aus dem „Kleinen buckligen Pferdchen“ ließ aufhorchen).

Zu sehen gab’s genug: durchweg überdurchschnittliche Leistungen von Solisten des Kirow-Balletts, des Bol- schoi- und des Stanislawski-Theaters (Moskau), vom Malyi-Ballett aus Leningrad und einem Ensemble aus Swerdlowsk. Die durchweg schöngewachsenen und wohltrainierten Tänzer kommen ohne Ausnahme aus der klassischen Schule. Ob sie in ihren Heimatstädten zur ersten Garnitur oder zur jungen Garde gehören, wissen wir nicht und können es, nach jeweils nur einer oder zwei Nummern je Paar, nur mit Vorbehalt beurteilen.

Besonders schöne und stolze Tänzer kommen offensichtlich aus den Randregionen: aus dem Dshali-Ballett (Kazan), dem Estonia-Ballett (Tal linn) und dem Paliaschwili-Ballett (Tiflis): Tiju Randwiir, Tamara Soone, Irina Giandieri. Eine besondere Note brachte auch die knabenhaft-schlanke Eleonora Wlassowa mit, die zum Ensemble des Moskauer Stanislawski-Theaters gehört und zur Pantomime zu neigen scheint.

Die neuen Choreographien waren nicht aufsehenerregend (am originellsten eine von En Suwe, am poetischesten die von Leonid Jakobson auf Tschaikowskys sentimentale „Meditation“); die Kostüme waren meist bescheiden, zuweilen in den Farben knallig und meist etwas altmodisch.

Jedenfalls spricht es für den Rang der Tänzer, daß sie sich in dieser nüchternen Entourage behaupten konnten: auf dem zu kleinen und für das Parkett zu hohen Podium, vor einem schmutzig-grauen Vorhang, auf einer schlecht ausgeleuchteten Bühne, und von einem Salontrio (Klavier, Violine, Cello) begleitet. Von tüchtigen Musikern übrigens, die aber weder ein Orchester noch ein gutes Tonband zu ersetzen vermochten.

Ein interessiertes Publikum füllte den großen Saal bis auf den letzten Platz und zeigte sich sehr aufmerksam-kritisch und beifallsfreudig. Womit wieder einmal die These von der Ballettfeindlichkeit des Wiener Publikums widerlegt ist, die schon seit Jahren als Alibi für die Staatsoper dient, deren großes Ballett heuer keinen einzigen Premierenabend hat.

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