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Differenzen mit Moskau sind echt

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Spaniens umstrittener KP-Füh- rer, Santiago Carillo, absolvierte die erste Werbetour eines namhaften westlichen Kommunisten in den Vereinigten Staaten. Er hielt Vorträge an vier berühmten Universitäten und vor dem „Rat für ausländische Beziehungen“.

Zweck der Reise war, den Standpunkt der Eurokommunisten verständlich und verdaulich zu machen. Carillo betonte nicht nur die Treue seiner Partei - die von seinem moskautreuen Rivalen, Enrique Lister, gespalten werden sollte

- zur westlichen pluralistischen Demokratie, sondern auch seine Unabhängigkeit vom Kreml.

Carillos Vortragsreise hat zweifellos eine historische Bedeutung. Der spanische KP-Chef sollte vor der „amerikanischen Elite“ die ideologische und politische Position seiner Partei schildern. Die Werbetour begann an der Yale Universität, wo Carillo sich drei Tage lang aufhielt Neugierige Presseleute wollten von ihm hören, ob die Gegensätze zwischen der KPdSU und den sogenannten eurokommunistischen Parteien eventuell zum offenen, irreparablen Bruch führen könnten. Carillo überraschte mit der aufrichtigen Antwort daß der Bruch im Dogmenbereich bereits eine Tatsache sei!

Auf die Frage, welche Unterschiede eigentlich zwischen den italienischen, spanischen und französischen Eurokommunisten bestünden, sagte Carillo: „Die spanische KP ist in der Kritik weitergegangen als die anderen.“ Mit Bezug auf die Verhinderung seines Auftrittes in Moskau: „Eine augenfällige Bestätigung der Tatsache, daß die Verschiedenheiten zwischen der SpKP und den Sowjet- führem tief und echt sind.“

Die Sowjets können nicht begreifen und dulden, daß die Eurokommunisten ohne russische Hegemonie und Bevormundung den Sozialismus auf nationaler, autonomer Basis aufbauen wollen. Außerdem soll die eurokommunistische Konzeption den politischen und philosophischen Pluralismus in der Regierung akzeptieren, ja sogar respektieren und das Ziel der „Diktatur des Proletariats“ opfern.

Die zweite Station war die John Hopkins Universität in Baltimore, wo er eine Vorlesung an der „Schule für fortschrittliche internationale Studien“ hielt Es folgte die Harvard University in New England. Die letzte Station war New York, wo Carillo vor dem bereits erwähnten „Rat für ausländische Beziehungen“ einen Vortrag hielt Um den Aufbau seines persönlichen Image bemüht, gab er Interviews und hielt zahlreiche Pressekonferenzen ab.

Offiziell gab es keinen Plan, Carillo von Repräsentanten der Washingtoner Regierung zu empfangen. Seine Werbetour und Mitteilungen wurden in Washington na-' türlich mit Aufmerksamkeit registriert Es ist ein offenes Geheimnis, daß Carillo Gelegenheit hatte, mit einflußreichen politischen Persönlichkeiten „privat“ zu sprechen. Damit wurde ein indirekter und behutsamer Dialog zwischen maßgebenden Amerikanern und Eurokommunisten eingeleitet

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