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Festgenagelt durch Vernagelte

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Mit einer Stimme, die nach dem Verzehr von drei Großpackungen Kreide klingt, und treuherzigem Augenaufschlag gibt sich der SPÖ-Vorsitzende Fred Sinowatz jetzt staatspolitisch, wenn er die Parteivorstandsresolution erläutert, „daß die Interessen der Republik und das Wohl unseres Landes Vorrang vor allen anderen Gesichtspunkten haben müssen“.

Die Hand, die vor zei Jahren die Demolierungsspitzhacke geschwungen hat, kramt jetzt die Aufräumschaufel hervor. So einfach geht das.

So geht das einfach nicht. Und nicht staatspolitische Verantwortung, sondern das schlechte Gewissen zwingt die große Regierungspartei zur Zurückhaltung.

Rundherum nur wirre Vorschläge, Schleichpfade aus der schwierigen Situation zu bahnen. Die SPÖ-Spitze will über einen „Neubeginn im Amt des Bundespräsidenten beraten“, der ÖVP-Obmann und Vizekanzler will einen „dritten Weg“ zwischen Nicht-rücktritt und Rücktritt und ein „neues Amtsverständnis“ besprechen, und der Vorschlag einer Volksabstimmung setzt der Sache noch die Krone auf.

Nach der Person des Bundespräsidenten auch noch die Verfassung in Frage stellen? Sie zu-rechtrichten, weil es nicht ins Konzept paßt, sich nach ihr zu richten? Der Umgang mit der Verfassung sagt alles über die Verfassung, in der sich diese Republik befindet.

Amt, Amtsende und Amtszuständigkeiten sind detailliert und vollständig vorgegeben. Und daran darf kein Weg vorbeiführen. Waldheim-Befürworter müssen zur Kenntnis nehmen, daß dieser Bundespräsident eine wesentliche Kompetenz nicht zu erfüllen vermag: die Vertretung der Republik nach außen als Symbol nationaler Einheit. Waldheim-Gegner müssen ebenso zur Kenntnis nehmen, daß der Bundespräsident trotz allem in 30 von 31 erschöpfend festgelegten Zuständigkeiten sein Amt erfüllt.

Ohne Bereitschaft zu differenzieren und zu argumentieren schlagen sich viele auf die Seite der Gegner oder Befürworter. Wir schlagen uns als FURCHE auf die Seite des Rechtsstaates, an dessen Grundlagen gerüttelt wird.

Weder Amtsverbleib noch Rücktritt sind einfach erzwingbar, doch dazwischen gibt es nichts. Und die Sprechchöre beider Seiten nageln Kurt Waldheim in einer Ecke fest, aus der es keinen Ausweg gibt, auch nicht — um beim Bild zu bleiben - den Schritt zurück.

Will das niemand begreifen? Der eine festgenagelt, die anderen vernagelt. Ich plädiere dafür, Kurt Waldheim aus dieser Ecke herauszulassen, ihm Bewegungsfreiheit zurückzugeben, damit wieder die Chance, das Gesetz des Handelns für sich zu haben. Als Mensch* wie als Staatsoberhaupt.

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