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Wie „Rausch und Kater“

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Traditionsgemäß war auch bei der 28. Betriebswirtschaftlichen Woche der letzte Tag ordnungs- und konjunkturpolitischen Fragestellungen gewidmet, die über die unmitelbare Gegenwart hinausgehen.

Wie wenig freilich die Veranstalter ideologische und gesellschaftspolitische Aspekte in den Vordergrund rücken wollten, konnte man den peinlichen Erklärungen des Tagungspräsidenten entnehmen, der sich quasi dafür entschuldigte, daß man nun den ÖVP-Bundespartei-obmann Taus hören werde, den man noch als den Generaldirektor der Girozentrale eingeladen habe, worauf Taus geschickt mit der Feststellung antwortete, er sei durch den Milieuwechsel kein anderer geworden. ' '

Auf die gesellschaftspolitische Problematik der gegenwärtigen Situation wies schon Nationalbankgeneraldirektor Kienzl hin, der davor warnte, eine mäßige Inflationsrate als voi-zügliches Mittel zur Sicherung der Vollbeschäftigung anzusehen, denn ein „steigender Inflationsdruck zerdrückt die für das Funktionieren der Marktwirtschaft und der Demokratie notwendigen Institutionen“.

„Vollbeschäftigung und Inflation sind keine zugleich erreichbaren Ziele, sie verhalten sich vielmehr zueinander wie Rausch und Kater. Je stärker die Inflation, um so stärker die nachfolgende Arbeitslosigkeit.“ Kienzl bezeichnete dann eine Superkonjunktur — wie die zwischen 1970 und 1974 — als nicht wünschenswert, da man ja die Schäden, die sie verursacht habe, immer deutlicher sehe. Eine bemerkenswert offene Kritik an der österreichischen Wirtschaftspolitik der letzten Jahre, wenn man bedenkt, daß kein anderes westliches Industrieland eine solche Superkonjunktur zu verzeichnen hatte wie Österreich. In den anderen Industriestaaten begann man mit dem ,deficit spending' ja erst nach Beendigung der Hochkonjunktur.

Bemerkenswert war auch Kienzls Ablehnung fortdauernder Kreditrestriktionen, die . er als außerordentlich gefährlich bezeichnete, da sie eine gesellschaftspolitische Bedeutung haben. Großbetriebe und öffentliche Hand können sich immer Kredite beschaffen, anders die Mittel- und Kleinbetriebe, die in Österreich eine enorme Bedeutung haben und viele Unternehmerpersönlichkeiten hervorbringen. Daher plädiere er „für eine milde und gut ausgewogene Kreditpolitik“.

Mit der Systemkrise der Marktwirtschaft befaßte sich ÖVP-Chef Josef Taus. „Es gäbe kein krisenfreies System, doch würden im Westen grundlegende Fragen nach dem System und seinen Spielregeln überhaupt nicht gestellt.“ Die Experten diskutierten nicht die Voraussetzungen des Systems, obwohl wirtschaftliche und politische Fragen sich nicht trennen lassen. Taus bezeichnete es; als große Gefahr für die Politik, alle wichtigen Fragen „Expertengruppen“ zu überlassen und die dahinterstehenden politischen Fragen zu camouflieren. „Denn was helfen Expertenvorschläge, die sich in der politischen Realität nicht verwirklichen lassen?“

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