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Parteien auf der Schulbank
Seit dem 6. März 1966 sitzen die beiden großen Parteien Österreichs auf der Schulbank. Beide haben eine Lektion in Demokratie nachzuholen. Sie werden umgeschult vom „Regierungskartell“ auf den „parlamentarischen Wettbewerb“. Daß es sich dabei um einen Lernvorgang handelt, ist im ersten Schuljahr nicht leicht zu erkennen, umfaßt doch diese Ausbildung in parlamentarischer Demokratie die ganze Gesetzgebungsperiode. Der Lernerfolg besteht zweifellos noch nicht darin, daß im Plenum des Parlaments nun lauter und länger disputiert wird. Ein endgültiges Urteil wird erst möglich sein, wenn das vom Wähler ausgestellte Abschlußzeugnis 1969/70 vorliegt. Was aber berechtigt schon heute dazu, die österreichische Demokratie seit dem 6. März 1966 als „Lernvorgang“ zu bezeichnen?
Wir wissen, was sich geändert hat: die ÖVP hat zum erstenmal seit 1949 wieder die absolute Mehrheit erhalten, sie regiert allein, die SPÖ ist in die Opposition gegangen, es gibt keine Koalition mehr.
Unterschätzen wir aber auch nicht, was sich nicht geändert hat: es gilt nach wie vor die gleiche Verfassung, die beiden großen Parteien tragen ihre Gegensätze nicht erst seit heute — aber vielfach mit den gleichen Politikern — im Plenum des Parlaments aus und die Bevölkerung wird von diesen Meinungsverschiedenheiten durch die gleiche Presse und den gleichen Rundfunk unterrichtet.
Die Koalition — die sich in den Augen mancher bereits als „gute, alte Koalition“ zu verklären beginnt — war zuletzt alles andere als ein Synonym für Zusammenarbeit. Sie war nur noch proportionaler Machtbesitz und Meinungsstreit über die Schuld Ein der Arbeitsunfähigkeit.
Der Meinungsstreit kennzeichnet also keineswegs die seit dem 6. März 1966 veränderte Situation. Wer vorgibt, davon schockiert zu sein, daß sich die beiden großen Parteien „jetzt“ so heftig bekämpfen, der leidet an Gedächtnisschwund. Sie haben sich schon immer sehr heftig bekämpft. So gipfelten praktisch alle Wahlkämpfe seit 1945 in der gegenseitigen Beschuldigung, den „kapitalistisch-rechtsextremistischen“ beziehungsweise „klassenkämpferisch - linksextremistischen“ Weg beschreiten zu wollen. (Was keineswegs eine abfällige Bemerkung über die bisherige Art der Wahlargumentation sein soll, setzt doch diese voraus, daß die überwältigende Mehrheit der österreichischen Wähler jeden Extremismus ablehnt!)
Mehrheit kontrolliert Mehrheit
Wenn Demokratie Diskussion ist, dann setzt sie Meinungsverschiedenheit voraus. Diese Meinungsverschiedenheit bestand in der Zeit der Koalition und sie besteht auch heute in der Zeit der Konfrontation. Verschieden sind nur die Folgen:
In der Zeit der Koalition führte die Meinungsverschiedenheit entweder zur Übereinstimmung oder zur Handlungsunfähigkeit. Heute führt die Meinungsverschiedenheit entweder gleichfalls ' zu? Überein • Stimmung oder zur Mehrheitsent? Scheidung.
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