„Extrem unbefriedigende Situation“

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Der österreichische Ökonom und Mitautor des Weltklimaberichtes Stefan Schleicher über Vorwürfe gegen IPCC-Wissenschafter, mangelnde Budget- und Personalausstattung und den schädlichen Einfluss nationaler Regierungen auf die Klimadiskussion.

Der Wirtschaftswissenschafter Stefan Schleicher beschäftigt sich für das IPCC mit den ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels auf einzelne Nationen und Erdteile. Er wird auch an dem Klimabericht 2014 beteiligt sein.

Die Furche: Der Klimaprozess verzeichnet seit dem gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen einen Rückschritt nach dem anderen. Die großen Staaten, allen voran China und die USA, verweigern nach wie vor verpflichtende CO2-Grenzwerte. Dazu scheint es, als würde sich der wissenschaftliche Konsens von der Dramatik des Klimawandels in Skandalen und Übertreibungen auflösen. Zuletzt geriet das IPCC (wissenschaftlicher Klimabeirat der UNO) unter Druck, weil sich in seinem Bericht mehrere Fehler fanden.

Stefan Schleicher: Es ist gut, dass es zu einer grundsätzlichen Diskussion über das IPCC und die in seinen Berichten enthaltenen Aussagen kommt. Es ist an der Zeit, die Öffentlichkeit in aller Offenheit aufmerksam zu machen, wie groß das Ausmaß der wissenschaftlichen Unsicherheit ist.

Die Furche: Sie meinen damit die Vorhersagemodelle.

Schleicher: Ich meine vor allem, dass wir besser die Wahrscheinlichkeiten der Prognosen kommunizieren sollten, die in der öffentlichen Darstellung zu oft als Sicherheiten vermittelt werden. Das ist der Grundfehler.

Die Furche: Ein Beispiel dazu?

Schleicher: Die Klimaforschung sagt beispielsweise, dass ein Klimawandel, der mit einem Temperaturanstieg von bis zu zwei Grad Celsius verbunden ist, bewältigbar ist und dass dafür eine Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre von 550 ppm akzeptabel wäre. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Temperaturziel erreicht wird, liegt nur bei 25 Prozent. Das wird in den Medien der Öffentlichkeit vorenthalten, weil man ihr die Argumentation mit Wahrscheinlichkeiten nicht zumutet.

Die Furche: Wer entscheidet darüber, was in der Öffentlichkeit als sicher dargestellt wird?

Schleicher: Die Darstellung der Arbeit des IPCC nach außen unterliegt einer starken politischen Kontrolle. Die Mitgliedstaaten und deren Regierungen finalisieren die Berichte und arbeiten eine Zusammenfassung für „Policy Makers“ aus. An dieser orientiert sich die Berichterstattung. 99,9 Prozent der Journalisten lesen die 3000 übrigen Seiten nicht, in denen die gesamte wissenschaftliche Arbeit steckt.

Die Furche: Wobei sich in die Ergebnisse des allgemeinen Teils, der sich mit den Folgen des Klimawandels beschäftigt, einige schwerwiegende Fehler eingeschlichen haben. Wenn etwa behauptet wird, die Himalaya-Gletscher würden schon in 25 Jahren zur Gänze abschmelzen. Nun zeigt sich, dass die Behauptungen unreflektiert aus NGO-Darstellungen übernommen wurden. Zerstört so etwas nicht auch die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft?

Schleicher: Das hätte einfach nicht passieren dürfen und dafür müssen die Verantwortlichen auch die Konsequenzen tragen.

Die Furche: Sie sprechen da auch den E-Mail-Verkehr zwischen führenden Wissenschaftern des IPCC an, in denen zur Vernichtung von Daten aufgerufen wird und Studien von Klimaskeptikern in einem Ausmaß vernichtend beurteilt werden, das schon an üble Nachrede grenzt. Zuletzt wurde auch noch einem Wissenschafter, der die Basisdaten für eine Überprüfung der Ergebnisse verlangte, der Zugang zu den Daten mit der Begründung verweigert, er wolle damit ja ohnehin nur zum Nachteil des IPCC argumentieren.

Schleicher: Es hat hier sicher Verstöße gegen den wissenschaftlichen Verhaltenskodex gegeben. Deshalb ist es jetzt wichtig, volle Transparenz über die verwendeten Daten herzustellen und den Diskussionsprozess aktuell und öffentlich im Internet zu führen. Dieser E-Mail-Verkehr zeigt aber auch, unter welchem Druck hier gearbeitet werden muss.

Die Furche: Sie meinen damit, es gäbe zu wenige Wissenschafter für den Klimabericht?

Schleicher: Nehmen Sie als Beispiel die University of East Anglia, von der auch „Emailgate“ seinen Ausgang nahm. Die dortige Climate Research Unit hat eine wichtige Koordinationsfunktion im IPCC. Die wenigen Wissenschafter, die dafür zur Verfügung stehen, müssen dann die hunderten Fachmeinungen und hochkomplexe Berichte zum Thema ordnen und gewichten. Dabei kann es zu unbefriedigenden Abläufen kommen.

Die Furche: Wie sehen Sie die Situation Österreichs in diesem Zusammenhang?

Schleicher: Österreich ist im Vergleich mit Italien, der Schweiz und Deutschland absolutes Schlusslicht, was die budgetäre Ausstattung betrifft. Wir bräuchten in den nächsten drei Jahren eine Verdoppelung von Budgets und des Personals, um aufschließen zu können. Für jene Österreicher, die im IPCC mitarbeiten, steht beispielsweise nicht einmal ein Reisebudget zur Verfügung, gar nicht zu reden von zusätzlichen Forschungsmitteln. Das ist extrem unbefriedigend. Viele Kollegen sagen auch, dass sie deshalb auf eine Nominierung in das IPCC verzichten.

Die Furche: Nun freuen sich Klimaskeptiker auch über Studien, die den vom Menschen induzierten Klimawandel insgesamt infrage stellen. Zuletzt erschien eine Arbeit über eine Tropfsteinhöhle auf Mallorca, die ein rasantes Ansteigen des Meeresspiegels vor 81.000 Jahren nachweist. Dieser Anstieg fand ohne Erhöhung CO2-Konzentration in der Atmosphäre statt. Wirft das nun alle Theorien über den Haufen?

Schleicher: Wir müssen als Forscher dankbar sein für all diese scheinbaren Widersprüche. Nur wenn wir uns mit ihnen auseinandersetzen, können wir einen Fortschritt erreichen. Wir haben längst nicht alle Antworten gefunden.

Die Furche: Dann kann die Theorie vom menschlich erzeugten Klimawandel durchaus noch ins Wanken geraten?

Schleicher: Dass ein Klimawandel stattfindet, ist auch unter Skeptikern unbestritten. Zur Rolle des Menschen dabei muss man die Aussagen des IPCC aber auch genau lesen. Es heißt da sinngemäß, der größte Teil des Klimawandels sei nicht mit jenen natürlichen Zyklen erklärbar, die wir derzeit kennen und in unseren Modellen reproduzieren können. Das ist also sehr vorsichtig formuliert. Es könnte demnach noch andere natürliche Zyklen geben, die noch nicht erforscht sind. Davon unbenommen beschleunigen aber nach unserem fundierten Wissensstand erhöhte Treibhausgasemissionen den Klimawandel. Die damit verbundenen Risken fordern ein energisches Handeln, das nicht nur dem Klima, sondern auch dem Menschen hilft.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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