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Blutarmut des Friedens

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Jetzt ist es so gut wie entschieden: Man wird den Krieg in Bosnien „ausbluten“ lassen. Wie ein Tier, das mit dem Kopf nach unten und dem Messer im Hals über einen Abfluß gehalten wird. Die Glaubwürdigkeit der menschlichen Solidaritätsgemeinschaft rinnt mit in den Kanal. Die Hand zittert, die heuer die rosa Kerze des Gaudete-Sonntags entzündet. Kühle Vernunft flüstert uns zu: Wäre es wirklich besser, den Krieg weitertoben zu lassen, statt den Serben einen Frieden anzubieten, der ihre Aggression belohnt? Ist „ehrenvoll sterben“, für bosnische Moslems oder Menschen jeglicher Herkunft wo immer, menschenwürdiger als ein ungerechter, blutarmer Friede, unter dem wenigstens die Opfer begraben und die Verwundeten operiert werden können?

Und noch eine Frage, der sich Europäer stellen müssen: Haben wir nicht schon ein Dutzend Mal zugeschaut, wenn in Afrika oder Lateinamerika Frieden geschaffen worden ist, der keine Gerechtigkeit brachte, sondern nur der Gefühlslage genugtat, daß „jetzt einmal Schluß sein muß“?

Kaum war der Beschluß der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Rußlands gefaßt, berieten NATO und KSZE Fragen der europäischen Sicherheit. Rußland verblüffte durch die Verweigerung seiner Unterschrift unter die „Partnerschaft für den Frieden“ im Rahmen der NATO, die sie schon zugesagt hatte, und beim Präsidentengipfel in Budapest wurde eifrig nach einer verstärkten Rolle Rußlands im europäischen Sicherheitsgefüge von morgen gefahndet. Man ist sich einig: Rußland muß wie ein rohes Ei behandelt werden. Viele Russen haben den Zusammenbruch des Sowjetsystems als demütigende Niederlage für die russische Nation empfunden. Waidwund verletzte Giganten sind gefährlich. Der Westen muß Rußland helfen, wieder zu Selbstbewußtsein und Sicherheit zu finden. Aber wie?

Die Erweiterung der NATO durch einstige UdSSR-Verbündete würde Moskau besonders reizen. Militärische Unverbindlichkeiten in Ost- und Südosteuropa aber reizen Rußlands Appetit. Ein gesamt europäisches Sicherheitssystem ist dringend vonnöten. Österreich muß an diesem mitbauen. Davon entbindet keine Neutralität.

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