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Ein vergessener Österreicher

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Der österreichische Dichter Uriel Birnbaum erlosch am 9. Dezember 1956, nach jahrelangem Siechtum, im St.-Elisabeth-Krankenhaus von Amersfoort, Holland. Ein Jahr später erschien, betreut von Uriels Tochter Mirjam, eine Auswahl seiner Gedichte. Als Meister der Form verwendete Birnbaum für den Zyklus „Das neue Rubayat“ (Rubayat, arabisch: Vierzeiler) die von dem persischen Klassiker Omar Chajjam bevorzugte Strophenform des altorientalischen Sinnspruchs. Unter dem Titel „Ein vergessener Österreicher“ schrieb Dr. Otto Habsburg im August des Jahres 1967 über den Dichter: „Der Sieg Israels im Kampfe gegen die arabische Ubermacht hat erneut das Interesse für jene österreichischen Juden geweckt, die durch ihre Leistungen in der kaiserlichen Armee die hohen soldatischen Qualitäten ihres Volkes unter Beweis gestellt haben. Der Krieg von 1914 bis 1918 hat Österreich drei große jüdische Dichter geschenkt: Josef Roth, Hugo Zuckermann und Uriel Birnbaum. Alle drei, jeder auf seine Art, haben der einstigen Donaumonarchie unzerstörbare Monumente errichtet und in ihren Werken Werte gerettet, die zum österreichischen Erbe europäischer Geistigkeit gehören. Roth, Zuckermann und Birnbaum haben vieles gemeinsam: tiefstes Verständnis für das übernationale Wesen Österreichs, lebendige Verbindung zur jüdischen Tradition und starke religiöse Verankerung. Diese ist denn auch die formende Kraft im monumentalen Werke Uriel Birnbaums. Seine Gedichte sind nicht selten Gebete. Das zeigt sich in jener Sammlung von Sonetten ,In Gottes Krieg*, die seine Erlebnisse als Offizier

der alten Armee enthält, wie auch in seinen letzten Werken, die unter dem Eindruck der erschütternden Erlebnisse eines Mannes stehen, der sich vier

Jahre lang auf einem Dachboden in Holland versteckt halten mußte, nachdem er gezwungen gewesen war, aus der Heimat, die er so heiß liebte, zu flüchten. Es dürfte wohl weitgehend auf die Traditionsverbundenheit Birnbaums zurückzuführen sein, wenn man ihn, wie auch Zuckermann, heute totzuschweigen versucht. Bei Josef Roth war dies nur deshalb nicht möglich, weil seine Romane einen zu weiten Leserkreis fanden, im Gegensatz zu den beiden anderen Dichtern, die für ihre Lyrik nur mit einer verhältnismäßig wenig zahlreichen Elite als Lesern rechnen konnten. Es ist allerdings und um so mehr eine Schande für unser Land, daß die große Sammlung der Gedichte Birnbaums 1957, also nach dem Tode des Dichters, von der Erasmus-Buchhandlung in Amsterdam herausgegeben werden mußte, weil sich dafür kein Verleger in seiner Heimat Österreich fand.“

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