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Thomas Becket und Heinrich IL

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Das alte englische Volkslied besingt zwei Kanzler Englands, die dem Zorn ihres Königs zum Opfer fielen und Märtyrer der Kirche wurden: Thomas Becket und Thomas Morus. Mit unverhohlener Antipathie hat Conrad Ferdinand Meyer in seiner Novelle „Der Heilige“ Becket dem deutschen Lesepublikum präsentiert. Eliots „Mord in der Kathedrale“ zeigt ihn hymnisch verklärt, das Mysterium saugt hier die Geschichte auf. Der Franzose A n o u i 1 h setzt sich in seinem Drama „Becket oder die Ehre Gottes“, das eben im Burgtheater seine Erstaufführung erhielt, mehrfach in kühnem Sprung über die Geschichte hinweg, nimmt sie dann wieder wörtlich gewahr. Diese innere Spannung macht nicht zuletzt dieses prächtige Theaterstück so interessant: Es ist als Tragödie nicht tief, läßt sogar manches von der psychischen Subtilität des früheren Anouilh vermissen, packt jedoch mitreißend in einer Aufführung, die von Schauspielern, wie hier Heinrich Schweiger und Oskar Werner, getragen wird. Die Tragödie wird hier ausgelöst durch einen Liebeskonflikt: König Heinrich ist heillos in seinen schönen, klugen Freund verliebt, haßt ihn dann mit tödlicher Haßliebe, weil er dessen offene Erklärung nicht wahrhaben will: „Wenn ich Erzbischof werde, kann ich nicht mehr Euer Freund sein.“ „Die Ehre Gottes“: Hier hält sich nun Anouilh erstaunlich genau an die historische Situation, ja an die Sprache der Urkunden und der frühen Lebensgeschichte Beckets. „Ehie“, honor. umfaßt im Mittelalter die gesamte irdische und himmlische Rechtsstellung einer Person. Zur „Ehre Gottes“ in England gehören also die Verteidigung der Rechtsstellung noch des geringsten Kaplans und aller Besitztümer, Rechte, Gewohnheiten der Kirche in England. Diese „Ehre Gottes“ mußte naturgemäß in Konflikt kommen mit der „Ehre des Königs“ Heinrich IL, eines hochbegabten, leidenschaftlichen und persönlich unglücklichen Mannes, der geschichtlich Großes geleistet hat für den Aufbau des englischen Staates. Anouilh bringt ein- weiteres historisches Moment ins Spiel, das von neueren Becket-Darstellungen zuwenig beachtet wird: der Haß der harten, brutalen normannischen Herren, der Eroberer Englands knapp hundert Jahre zuvor, gegen die „sächsischen Hunde“, das Volk der Angelsachsen. Vor diesem Haß sind sächsische Edlinge damals, nach 1066, bis nach Rußland geflohen ... Die Aufführung lebt von der Kraft und Strahlung der beiden Protagonisten, neben ihnen sind nur Skoda als Bischof von London und Hennings als König Ludwig von Frankreich zu nennen. Schweiger gestaltet den König Heinrich, der urkundlich im Zorn in den Teppich biß, als einen Barbaren unserer europäischen Frühe, voll von gefährlichem, tödlichem Charme. Oskar Werner besitzt die Kraft, eben diese halsbrecherische Wandlung glaubhaft zu machen: vom Buhlgesellen des jungen Königs zum Mann Gottes, der hell, wie in eine Sternennacht, in den grausamen Tod, ins Gemetzel geht. — Großer Applaus.

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