Hoffnung auf ein anderes Leben

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Am Burgtheater-Vestibül hat Andreas Schmitz Franz Xaver Kroetz' "Oberösterreich" inszeniert. Mit wenigen Mitteln zeigt er, wie aktuell das 1972 entstandene Volksstück immer noch ist - oder gerade wieder ist.

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Am Burgtheater-Vestibül hat Andreas Schmitz Franz Xaver Kroetz' "Oberösterreich" inszeniert. Mit wenigen Mitteln zeigt er, wie aktuell das 1972 entstandene Volksstück immer noch ist - oder gerade wieder ist.

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Oberösterreich ist kein Ort, Oberösterreich ist ein Zustand. Oberösterreich kann überall sein, auch wenn der Protagonist in Franz Xaver Kroetz' Volksstück der festen Überzeugung ist, dass es sich in Wien ("der ehemaligen Kaiserstadt") oder München ("der früheren Königsstadt") besser leben lässt. Schließlich gibt es in Großstädten keine soziale Kontrolle. Und sie bieten andere Möglichkeiten.

So denken Anni und Heinz, das junge Paar, das Kroetz in seinem 1972 verfassten Drama ins Zentrum stellt. "Oberösterreich" heißt das Stück deshalb, weil Anni in der Zeitung von einer Verzweiflungstat liest, die sich in Oberösterreich abgespielt hat. Das Familiendrama erinnert sie an ihre eigene prekäre Situation: Anni ist schwanger, sie freut sich auf das Kind, doch ihr Mann drängt sie zur Abtreibung: Ein Kind will er schon, aber nicht zum aktuellen Zeitpunkt, denn schließlich reicht das Geld vorne und hinten nicht aus und Ansehen hat er auch keines.

Heinz ist Lieferant, Anni Verkäuferin, beide arbeiten in derselben Firma. Hier weiß jeder alles vom anderen, etwa dass der neue Abteilungsleiter der jugoslawischen Putzfrau unter den Rock gegriffen hat, während sie auf allen vieren den Boden schrubbte. Anzeige hat die Frau nicht erstattet, wohl aus Angst vor weiterer Beschämung und Kündigung, dennoch wissen alle in der Firma davon. Und so wird weggeschaut. Oder besser: weiterhin zugeschaut.

Während Anni sich mit Kalendersprüchen tröstet, träumt Heinz von einer Ausbildung, die ihm Türen öffnet, zu einem freien, besseren Leben, einem Leben, das Sinn stiftet. Doch der Weg dorthin ist vage und so verbringen die beiden ihre Zeit wie alle anderen auch: Sie gehen kegeln und trinken, vergleichen ihre Autos, die über Kredit erworben wurden und denken an einen Swimming-Pool, für den jedoch der Garten fehlt.

Am Burgtheater-Vestibül hat Andreas Schmitz "Oberösterreich" inszeniert -und mit Alina Fritsch und Christoph Radakovits zwei sehr direkte, junge Schauspieler. Für die im süddeutschen Dialekt verfassten Dialoge wählt Schmitz eine Art Kunstsprache und hält sich damit an den Vorschlag des Autors: "An Süddeutsch angelehnt. Keinen süddeutschen Dialekt beherrschende Schauspieler müssen die Sprache als Kunstsprache betrachten und herstellen." Das gelingt den beiden Wienern in großen Teilen, wenn auch nicht konsequent.

Der 31-jährige -selbst aus Bayern stammende -Regisseur vermeidet einen realistischen Zugriff, überhöht und desavouiert stattdessen mit viel Komik das zur Schau gestellte vermeintliche Glück des jungen Paares.

Schon die erste Szene zeigt Anni und Heinz in der Pose der Harmonie. Sie sind im Hochzeitslook, strahlen ins Publikum, immer in korrekter, liebevoll einander zugewandter Haltung, glückliche Zweisamkeit betonend. Das Bild muss stimmen, immerhin ist die Hochzeit der schönste Tag im Leben einer Frau, und da er so schnell zu Ende geht, werden die Flitterwochen in die Länge gezogen. Die in den Medien angekündigte Eiszeit verunsichert das perfekte Paar, die Wetterprognose wird zum Symbol für die eigene Zukunft.

Der Körper als Geschenk

Mit wenigen Mitteln betont Andreas Schmitz, wie aktuell Kroetz' Stück immer noch ist -oder gerade wieder ist. Am dritten Hochzeitstag legt Anni ihr weißes Kleid ab, sie verpackt sich selbst mittels riesiger roter Schleife, ihr Körper wird zum Geschenk. Doch keine wilde Nacht erwartet den längst mehr an den Fernsehnachrichten interessierten Heinz, sondern die Botschaft, dass sie ihm ein Kind schenkt. Die Erwartung des Babys aber reißt ihn aus seinen Träumen und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Er trinkt zuviel, verliert den Führerschein, wenigstens aber nicht seinen Job. Als Anni sich weigert abzutreiben, dreht er durch, möchte davonlaufen, aber hinter den mit weißem Papier tapezierten Wänden verbergen sich dicke Holzplatten. Für Heinz ist scheinbar auch die letzte Tür ins Schloss gefallen: der Traum, die Hoffnung auf ein anderes Leben.

Schmitz findet schlichte und ebenso starke Lösungen über die Musik. Den Aggressionsausbruch etwa tanzt Radakovits zu David Guettas/Sias "Titanium", Alina Fritsch schwingt die Hüften zu Leonard Cohens "Hallelujah"."Love is not a victory march, it's a cold and it's a broken Hallelujah." Ein Ausflug an den Starnberger See wirkt auch ohne Bühnen-Ausstattung romantisch, schließlich quaken freundliche Frösche aus den Lautsprechern.

Am Ende sitzen die beiden in Unterwäsche im mittlerweile nackten Zimmer. Radakovits spielt am Akkordeon Robert Stolz' "Wien, du Stadt meiner Träume". Für das junge Team ist mit dieser gelungenen Produktion einer in Erfüllung gegangen.

Oberösterreich

Burgtheater 27., 30. Jänner, 3., 11., 20. Februar

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