Leben im Aufzug, Tod im Flugzeug

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Dem Schuhfabrikanten Tomas Bat'a verdankt die tschechische Stadt Zlin ein einmaliges architektonisches Erbe. Und die Idee eines humanen Kapitalismus.

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Dem Schuhfabrikanten Tomas Bat'a verdankt die tschechische Stadt Zlin ein einmaliges architektonisches Erbe. Und die Idee eines humanen Kapitalismus.

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In der Schnelle liegt Stärke", war einer der markigen Leitsprüche des Schuhfabrikanten Tomas Bat'a. Dieses Prinzip, das natürlich für seine Arbeiter galt, setzte der Industrielle auf Architektur, sich selbst und alle anderen Lebensbereiche um. Tomas Bat'a (sprich: "Batja"), Gründer der Schuhstadt Zlin, war ein Industrieller wie aus dem Bilderbuch. Was ihm an Mittelschulbildung fehlte, ersetzte er durch Charisma und einen scharfen Hausverstand. Bat'a war alles andere als rückständig. Er erkannte die Zeichen der Zeit, und wandelte ein Gebiet der traditionell handwerklichen Schuhfabrikation in einen Industriestandort ersten Ranges um.

1894 gründete er seine Firma, Zlin zählte damals gerade 2.834 Einwohner. Fünfzig Arbeiter produzierten fünfzig Paar Schuhe. Bereits 1905 war die Stadt auf 40.000 Einwohner gewachsen, die Zahl der Häuser hatte sich bis dahin mehr als verfünffacht. Nachdem Bat'a ein Jahr in den USA verbracht hatte, war alles anders geworden. Die Maschine zog in Zlin ein, und mit ihr die maschinelle Fertigung von Schuh und Haus.

Weil Schnelligkeit immer noch oberste Maxime war, bediente sich Bat'a zum Ausbau seiner Fabriken der modernsten Technologien: ab dem Jahr 1927 ließ er die gesamte Stadt strikt auf der Grundlage eines quadratischen Rastermaßes von 6,15 mal 6,15 Metern errichten. Auch dieses Maß kann seinen Bezug zur Schuhfabrikation nicht leugnen - entsprechen doch 6,15 Meter exakt 20 Fuß.

Eisenbetonskelette bildeten das kontruktive Basisgerüst, das mit Ziegelmauerwerk und Glas ausgefacht wurde. Das ging am raschesten, und führt bis heute aufgrund seiner konsequenten Durchführung zur Bewunderung von Architekten aus aller Welt. Selbst Le Corbusier bemühte sich um einen Auftrag für das berühmte Bat'a-Werk. Die wirklich großen kamen aber kaum zum Zug, denn Bat'a war auch Psychologe. Er setzte auf einen Architekten, den er frisch von der Universität mit einer Reihe Aufträge versorgte. "Die Fabrik im Grünen" und "die Gartenstadt" waren die Leitmotive, nach denen der junge Frantisek L. Gahura Zlin gestaltete. Dieses Muster, das nicht mehr wollte und konnte, als billige, anständige Wohnungen für zufriedene Arbeiter zu schaffen, entsprach Bat'a mehr als Corbusiers visionäre Ideen zur Gestaltung seiner Schuhgeschäfte.

Mehr als an der Moderne, war Bat'a am reibungslosen, und daher profitablen Funktionieren seiner Stadt interessiert. "Kollektives Arbeiten, individuelles Wohnen", hieß das Rezept, das sozialen Frieden versprach. Gegen eine symbolische Miete von einer Krone durften die Angestellten in ihr Häuschen im Grünen einziehen. Später konnten sie es sogar behalten, oder ihren Kindern vererben. Mit kollektiven Wohnformen, die unter Umständen Solidarität und Gewerkschaften fördern konnten, konnte Bat'a nichts anfangen. Nur ein zufriedener Arbeiter ist ein guter Arbeiter. Nach diesem Motto setzte Bat'a auf Motivation, Eigenverantwortung und den Ehrgeiz seiner Mitarbeiter. Er ist wahrscheinlich der erste, der die Umwegrentabilität einer corporate identity entdeckte.

Immerhin bekam ein Bat'a-Arbeiter ungefähr ein Viertel mehr Lohn als einer bei der Konkurrenz. Dafür aber mußte er seine Leistung verantworten. Einzelne Werkstätten waren eigenständig organisiert. Sie mußten einen Produktionsplan befolgen und mit den anderen Einheiten Verhandlungen führen. Der Lohn, der bezahlt wurde, war an die Produktivität der gesamten Firma gekoppelt. So konnte Bat'a seine Mitarbeiter zu immer mehr Leistung anspornen. 1922 produzierten 1.800 Angestellte 8.000 Paar Schuhe, sechs Jahre später brachten es 12.000 Arbeiter auf 75.000 Stück.

Nachdem die Firma so expandierte, und auch schon im Ausland über Filialen verfügte, brauchte auch die Stadt Zlin ein eigenes Planungsteam. Jan Kotera, Professor an der Prager Akademie der bildenden Künste, beriet den Unternehmer bis zu seinem Tod in allen Architekturbelangen. Er war ein leidenschaftlicher Vertreter der Gartenstadtidee, und so wuchsen in den grünen Tälern um die Fabriken die backsteinernen kubischen Einfamilien- und Doppelhäuser aus dem Erdreich. Thomas Bat'a war ein Feind von Alkohol und Nikotin. Ein Arbeiter sollte sich nach der Schicht vor allem ausruhen und im Garten arbeiten, damit er am kommenden Tag ausgeschlafen und leistungsfähig war. Motivationsfördernde Sprüche an der Wand erinnerten den arbeitenden Menschen daran, wie wertvoll die Zeit zu nutzen war. "Ein Tag hat 86.400 Sekunden" war beispielsweise zu lesen.

Architekt Vladimir Karfik, der lange für Bat'a gearbeitet hat, kann sich nicht daran erinnern, daß damals irgendjemand seine Zeit verschwendet hätte. Es gab ja auch genug zu tun. "Laßt uns nicht um die Zukunft bangen, die Hälfte der Erdbevölkerung geht barfuß. Hier seht ihr am besten, wie wenig wir geleistet haben", soll Bat'a einmal gesagt haben. Eine Frechheit, wenn man bedenkt, daß in seinem Sterbejahr 1932 von 18.700 Arbeitern 144.000 Paar Schuhe produziert wurden.

Der Leitspruch "In der Schnelle liegt die Stärke" wurde Bat'a zum Verhängnis. An einem nebeligen Tag des 7. Juli 1932 krachte er mit einem Flugzeug in eines der Gebäude auf dem Fabriksgelände. "Der Arbeiter ist sterblich, die Arbeit unsterblich," hatte er gesagt. Jahrelang wurde der zertrümmerte Flieger des verunglückten Firmenchefs wie eine Reliquie verehrt, und noch heute gibt es ein eigenes Haus zu seinem Gedenken, inklusive der unsterblichen Arbeit einer steinernen Statue.

Der Tod einer charismatischen Führernatur bedeutete aber noch lange nicht den Untergang der Schuhstadt. Weiterhin entstanden Wohnhäuser, Krankenhäuser und Schulen. Dort wurden Begabte gefördert, auch hier hatte Kollektivismus keinen Platz. Kulturelle Einrichtungen bereicherten die Arbeits- und Gartenstadt. Das größte Kino Europas, das 2.000 Menschen Platz bot, stand in Zlin. Ein Winterschwimmbad, eine evangelische Kirche, ein Industriegebiet und ein eigener Flughafen machten aus Zlin vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eine mittelgroße Stadt. Halbbruder Jan, mit dem es schon diverse Machtkämpfe gegeben hatte, übernahm den Betrieb, und mit ihm einige Ideen des alten Bat'a.

Auch der Leitspruch mit der Schnelligkeit blieb gültig. Heute noch ist ein siebzehnstöckiges Hochhaus des Architekten Vladimir Karfik aus dem Jahr 1938 der Stolz der Stadt Zlin. Es wurde in der Rekordzeit von weniger als einem Jahr errichtet, und war das höchste Verwaltungsgebäude im damaligen Europa. Das Besondere daran aber war das Büro des Firmenchefs - ein Aufzug im obligaten Raster von sechs mal sechs Metern, mit Riesenschreibtisch, Telefon, Waschbecken und einem Klappsessel für die immer schreibbereite Sekretärin. Jan Bat'a konnte so von Stock zu Stock fahren, und hatte mit einem Öffnen der Bürolifttüre sofort all seine Arbeiter im Blick. Noch heute ist dieser Aufzug in Zlin zu besichtigen.

Der Kommunismus hat die einstige Produktionskultur in den Dornröschenschlaf versenkt, heute ist Zlin vor allem beliebtes Reiseziel für Architekten aus aller Herren Länder. Nicht mehr Bat'a, sondern "Svit" prangt auf den Scheiben des Verwaltungsbaus. Als der Erbe, der momentan eine Fabrik in Kanada betreibt, den Familienbetrieb sanieren sollte, lehnte er zur Enttäuschung der Tschechen dankend ab. Zu wenig rentabel. Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen der Kapitalismus.

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