Spießig, häuslich und bürgerlich?

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Prunkstücke aus der umfangreichen Biedermeier-Sammlung zeigt das Belvedere in seiner aktuellen Ausstellung. Kuratorin Sabine Grabner versucht Epoche und Werke auch unter kritischen Gesichtspunkten zu präsentieren.

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Prunkstücke aus der umfangreichen Biedermeier-Sammlung zeigt das Belvedere in seiner aktuellen Ausstellung. Kuratorin Sabine Grabner versucht Epoche und Werke auch unter kritischen Gesichtspunkten zu präsentieren.

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"Unglücklich gewählt" nennt sie ihn, den Begriff Biedermeier: Kuratorin Sabine Grabner vertritt die Ansicht, dass die gleichnamige historische Epoche zwar 1848 vorbei war, die Neuerungen in der Malerei aber weit über diese hinausgingen. Daher entschloss sie sich dazu, eine Frage als Titel der neuen Ausstellung im Unteren Belvedere zu wählen und Arbeiten aus der Zeit zwischen 1830 und 1860 zu zeigen.

Typische wie untypische Arbeiten

"Ist das Biedermeier?" sollen sich also die Besucher fragen, wenn sie an Werken von Amerling, Waldmüller und von Zeitgenossen aus mehreren Kronländern vorübergehen. "Ich weiß darauf keine Antwort", sagt Grabner. "Es liegt wohl im Auge der Betrachter." Eben diese sind im Zuge der Ausstellung auch gefragt, ihre Sicht auf das Biedermeier in einem Hashtag in den sozialen Netzwerken zu formulieren. "Ich bin schon sehr auf die Auswertung gespannt."

Natürlich zeigt die Exposition Arbeiten, die als typisch für die Epoche mit dem spießigen Ruf gelten, aber auch zahlreiche, die nicht in die schematischen Vorstellungen passen. Da das Belvedere über die weltweit größte Biedermeier-Sammlung verfügt, kann man aus dem Vollen schöpfen. Prächtige Porträts und Genremalereien zeigen, wie das bürgerliche Leben nun als darstellungswürdig angesehen wurde. Typisch für das Biedermeier war es ja, dass Szenen aus dem bäuerlichen und bürgerlichen Alltag zu Sujets der Bildenden Kunst wurden, die doch bisher nur biblische und historische Stoffe gelten ließ. Ein weiterer Schwerpunkt waren eindrucksvolle Landschaftsdarstellungen, diese dürfen entweder als solche oder als Kulisse für Genreszenen wirken.

Die Vielfalt der Epoche kann man erkennen, wenn man Werke von Danhauser, Gauermann, Massimo d'Azeglio, Francesco Hayez, Mihael Stroj und vielen mehr nebeneinander sieht. Im Fall der Landschaftsmalerei finden sich auch Beispiele, "die von der Gegend her uninteressant sind, aber von der Ausführung her sehr speziell", so Grabner. Die Erweiterung auf die 50er-und 60er-Jahre ermöglicht ihr auch, Werke zu zeigen, die ansonsten ihr Dasein im Depot fristen, darunter Albert Zimmermanns prächtiger "Sonnenuntergang am Hintersee in Berchtesgaden".

Realistische Genremalerei

Was Kuratorin Sabine Grabner oft störte, war, dass späte Werke Ferdinand Georg Waldmüllers als biedermeierlich bezeichnet wurden, wo sie doch teils höchst sozialkritisch waren und nichts mit der Sehnsucht nach dem Häuslichen zu tun hatten. Einige Prunkstücke aus der Belvedere-Sammlung, die hier natürlich nicht fehlen, entstanden erst nach Ende der betreffenden Epoche und sind in Wahrheit Höhepunkte der realistischen Genremalerei.

Auch Friedrich von Amerling arbeitet nach italienischem Vorbild ganz anders als seine österreichischen Zeitgenossen. "Seine Werke sind nicht wie die typischen Genrebilder der Zeit, er schafft einfigurige Genremalerei, konzentriert sich auf die Gesichter und arbeitet lichttechnisch ganz anders, gleichzeitig aber sehr wienerisch", sagt Grabner. Als Beispiel präsentiert sie unter anderem Amerlings "Taubenmädchen", zwar auf den ersten Blick ein armes Mädchen in einer biedermeiertypischen Situation, auf den zweiten aber fällt die aufreizend offene Bluse und die Attraktivität des Mädchens auf. Amerling lernte von den lombardischen Künstlern und diese von ihm. Überhaupt weitet die Schau die Betrachtung auf die Kronländer aus und zeigt, wie sehr die Künstler damals zusammenwirkten -auch weil viele in Wien ausgebildet wurden.

Die Ausstellung, welche die Entwicklung der Kunst auch anhand von einigen Möbelstücken zeigt, möchte eine Spurensuche sein, deren Ergebnis ein vollkommen neues Licht auf die Malerei jener Jahrzehnte werfen soll. Belvedere-Direktorin Agnes Husslein-Arco wünscht sich, "dass der Begriff des Biedermeier in der Malerei zukünftig mit mehr Bedacht verwendet wird". Die Biedermeier-Schau gehört zu den letzten ihrer Direktion, mit 1. Jänner 2017 wird sie von Stella Rollig, bisherige Leiterin des Lentos Linz und des Nordico Museums und ehemalige FURCHE-Kolumnistin, sowie von Wolfgang Bergmann als kaufmännischem Direktor abgelöst.

Ist das Biedermeier?

bis 12. Februar, Unteres Belvedere

täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr

www.belvedere.at

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