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Biedermeier pur: Rein Stil für blasse Anpasser

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Biedermeierstoffe sind erste Wahl für jeden Innenarchitekten, der sich nichts traut. Mit einer Biedermeiertapete eckt er beim Renovieren eines Innenstadtcafes weder beim Inhaber noch bei den Gästen an. Biedermeiertapeten sind aber auch in jeder Ministerwohnung richtig. Biedermeierbezüge zieren die Sitzgelegenheiten im Heim des Unternehmers, soweit nicht mit I *eder bezogen, Biedermeier steht jeder Wand und jedem Möbel gut. Auch der Manager wohnt nicht nur schöner, sondern auch vorsichtiger mit Biedermeier. Biedermeier signalisiert Gediegenheit, Bürgerlichkeit, Angepaßtheit.

Doch wieder einmal muß eine vorgefaßte Meinung korrigiert werden. Was heute als Biedermeierstoff segelt, entspricht tatsächlich dem konventionellen Image. Mit den zarten Streifenmustern, die überall und nirgends hinpassen, läßt sich Unsicherheit in ästhetischen Fragen genauso gut verstecken wie die Angst, sich zu deklarieren. Aber diese zarten, unverbindlichen Streifenmuster mit blassen Blümchen in zarten Farben sind nur ein kleiner Ausschnitt des Beichtums, den die Stoffe in der Epoche des Biedermeier zu bieten hatten. Sie sind das, was die im Neon-Biedermeier gipfelnden Anpassungszwänge aus dem echten Biedermeier gemacht haben. Als verharmlostes und verniedlichtes Biedermeier sind sie freilich gesellschaftlich nicht weniger aussagekräftig als der originale Stil.

Jedem, der meint, das Neobieder-meier könnte vielleicht doch nicht das ganze Biedermeier gewesen sein, öffnet Angela Völker anläßlich einer Ausstellung im MAK (Siehe Seite 13) mit einem besonders schönen und interessanten Bildband die Augen. Als Kustodin des Museums für Angewandte Kunst konnte sie aus dem Vollen einer Sammlung von 20.000 Stoffmustern schöpfen, die teils im MAK, teils im Technischen Museum ruht, die ziemlich Vergessenheit geraten war und seit 1991 aufgearbeitet und von Ruperta Pichler in Dias und einer EDV-Dokumentation erfaßt werden konnte. Unglaublich, was da zum Vorschein kommt!

Die Biedermeier-Stoffdesigner haben mit starken Farben wahrlich nicht gespart. Da wurden Farbtöne, die sich, das bekannte Wienerische „Eitzerl" anders, unerträglich geschlagen hätten, mit nach wandlerischer Sicherheit nebeneinander gesetzt, da waren die Blümchen zwischen den Streifen gar nicht blaß, sondern sehr markant, und oft auch alles andere als klein. Wie geradezu abenteuerlich (nach heutigen Begriffen) ein Bürgerzimmer um 1835 aussehen durfte, überliefert das Buch „Franz Weiners Pracktische Zimmer-Mahlerei": Da wurden orientalische Wandbehänge mit dem Pinsel imitiert, und Tapeten ahmten die Stoffdraperien adeliger Wohnsitze nach. Vor allem aber wurde die Entwicklung von einer wahren Explosion der technischen Möglichkeiten der Textilindustrie vorangetrieben, und die Bürger stürzten sich ins farbenprächtige und heftig gemusterte Wohnvergnügen. Das alles wird in dem Buch sorgfältig dokumentiert.

Der Eindruck, den diese Stoffe vermitteln, ist eher das Gegenteil von Duckmäusertum. Gerade in Wien hätte man längst wissen müssen, daß die braven Streifen und die blassen Blümchen nicht alles gewesen sein konnten. Das Biedermeier ist schließlich identisch mit dem Vormärz, in dem sich die Revolution des Jahres 1848 vorbereitete. Unzufriedenheit sich zur immer heftiger brodelnden Wut steigerte und schließlich in einer halben Revolution Luft machte, welche die Bürger dann aber in letzter Konsequenz lieber doch den Studenten und den Erdarbeitern überließen.

Das Bürgertum, das der nach dem Ausbruch der Be-volution in Wien dem Zug entstiegene Karl Marx hier vorfand, war zwar unzufrieden und wütend, aber sobald wirklich scharf geschossen wurde, fand es an den Barrikaden klugerweise nur noch wenig Gefallen. Seine Haltung ähnelte der, die Nestroy in „Freiheit in Krähwinkel" einnahm: Er ging weit, doch nie so nicht so weit, daß er es sich nach dem Zusammenbruch der revolutionären Hoffnungen nicht doch mit der kaiserlichen Obrigkeit wieder richten konnte. Der Vormärz war keine Epoche, deren Lebensgefühl dünne Streifen und blasse Blümchen entsprochen hätten. Ferdinand Raimund hatte seine Erfolge in einer Zeit, in der man, noch oder wieder, hoffen durfte, die höheren Instanzen würden noch einmal alles zum besten regeln. Aber Raimunds Zeit war vorbei. Johann Nestroy war der Dichter der IErnüchterung, und Ernüchterung war das Lebensgefühl des Vormärz. Diese Übereinstimmung begründete seinen explosiven Erfolg. Bei Nestroy ließ man Dampf ab, dann ging man heim.

Das Heim war, außer für die vielen ganz Armen, neben Theater und Musik der Bückzugsort vor dem öffentlichen Baum mit seinen Spitzeln und Frustrationen. Die Schönheit und Funktionalität der Biedermeiermöbel verträgt sich bestens mit dieser Funktion und diesem hohen Stellenwert des Heims in einer Epoche wachsender Spannung. Der Rückzug aufs Musische und Vergnügliche war ja eine in Wien seit Jahrhunderten eingeübte Strategie. Blasse, ausdruckslose, unverbindliche Stoffe hätten ganz und gar nicht zu ihr gepaßt. Die Biedermeierstoffe, wie wir sie im Buch von Angela Völker kennenlernen, passen hingegen bruchlos in dieses Konzept.

Im Bildungsbüijgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts findet die Strategie des Bückzugs ins Geistige und Private zur Vollendung, zugleich rücken die im Vormärz noch von der Mitgestaltung ihrer Lebensumstände weitgehend ausgeschlossenen Schichten in die Entscheidungspositionen ein. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts möchte mancher gerne Mäuschen spielen, aber jetzt ist das Private kein Bückzugsort mehr. Der Mensch, so er eine eigene Meinung hat, ist nirgends mehr sicher. Die kühnen, farbenfrohen Muster, mit denen der Biedermeiermensch sein Privates ausstaffierte, weichen einer allgegenwärtigen Mimikry. Die unauffälligen Streifchen, die blassen Blümchen, sind tatsächlich ihr perfekter Ausdruck.

BIEDERMEITRSTOFFE

Die Sammlungen des MAK-Öster-reichisches Museum flir angewandte Kunst, Wien, und des Technischen Museums, Wien. Von Angela Völker. Mitarbeit: Ruperta Pichler. Prestel Verlag, München 1996. 144 Seiten, 10) Abbildungen in Farbe, Ln, öS 570,-

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