WAS KNAPPE TEXTE ERZÄHLEN KÖNNEN

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IN DIESEM HEIMISCHEN BÜCHERFRÜHLING LASSEN GERADE DIE KURZEN ERZÄHLFORMEN AUFHORCHEN.

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und Nicht-Erzählten liegt das Wesentliche von Strobels Erzählungen verborgen. Mit der Erzählung scheint Strobel zu seiner literarischen Form gefunden zu haben.

Dass es beim Schreiben um das Finden des eigenen Erzähl-Rhythmus geht, davon handelt der Essay von Markus Bundi über das Werk Alois Hotschnigs. Bundi untersucht in "Vom Verschwinden des Erzählers" ein wesentliches literarisches Merkmal von Hotschnigs Werken: den Rückzug des Erzählers aus dem Text. Den Rhythmus des eigenen Atems zu finden und ihm zu entsprechen, genau darum ginge es ihm beim Schreiben, meinte Hotschnig einmal. Genau darin, in Atem und Rhythmus, also formal gesprochen in "Diktion und Syntax", sieht Bundi die Erzählstimme Hotschnigs definiert. In der von Bundi analysierten Erzählung "Ausziehen ja, anziehen auch" des Erzählbandes "Im Sitzen läuft es sich besser davon" sind es beispielsweise allein die (wiederkehrenden) Stimmen verschiedener Figuren, durch die das Geschehen im Wartezimmer eines Arztes entwickelt wird, die Instanz eines Erzählers hingegen ist verschwunden. Die Lesenden sind dabei aber keine unbeteiligten Zuhörerinnen und Zuhörer. Durch ihre eigenen Erfahrungen werden sie schließlich selbst zu Erzählerinnen und Erzählern der Geschichte.

Eine Erzählinstanz, die sich zurücknimmt, ist auch in Carolina Schuttis Novelle "Eulen fliegen lautlos"(edition laurin) zu verzeichnen. Die Annäherung an die Welt ihres jungen Protagonisten Jakobs erfolgt über die sinnliche Wahrnehmung von Gerüchen und Geräuschen. Jakob, der kleine Sohn eines Försters und seiner Frau, lebt mit seiner Familie in einem abgeschiedenen Haus am Waldrand. Im Försterhaus mit den knarrenden Holzdielen und den ausgestopften Tieren wird zu Abend gegessen, nachdem der Vater vom Wald nach Hause gekommen ist, und es wird Karten gespielt. Doch das Bild einer harmonischen Familie hat von Anfang an Risse. Jakob spricht nicht, der Vater kneift ihm auf eine Weise in die Rippen, die nichts mit einer zärtlichen Geste zu tun hat, und die Mutter leidet still, ohne in die Situation einzugreifen. Als Ausweg aus diesem Szenario erschafft sich Jakob seine eigene Welt. Schutti verfolgt in der Zeichnung ihrer Figuren vor allem den Blick der Beobachtenden. Die innere Gefühlswelt des kleinen Jakob, seine tiefsten Ängste und Hoffnungen werden durch die Beschreibung seiner Handlungen nach außen getragen: Während die Eltern nichts ahnend schlafen, streift der Bub in nächtlichen Wanderungen durch den winterlichen Wald, die kleinen Füße stecken in den viel zu großen Stiefeln seines Vaters. Bilder wie diese legen innerhalb von 14 Kurzkapiteln Jakobs kindliche Verzweiflung offen. Umrahmt wird das Geschehen von einer Komposition aus wiederkehrenden Sätzen und Satzvariationen.

Was als Nächstes passiert

Ganz anders angelegt ist Hanno Millesis Novelle "Venusatmosphäre"(Edition Atelier). Kurz vor dem Aufwachen, zwischen Traum und Wirklichkeit setzt seine Erzählstimme ein. Noch gibt es für seine Protagonistin zwei Möglichkeiten des Erwachens: Aufschrecken oder Zurückschrecken. Doch bald wird klar, dass es sich hier nicht um den Beginn eines gewöhnlichen Tages im Leben der Frau handelt. Schon der Blick aus dem Bett auf ihr Fauteuil, über das sie üblicherweise ihre Kleider legt, macht deutlich, dass hier irgendetwas anders ist. Denn ihre Kleider sind nicht zu sehen und mit zunehmender Beunruhigung und wachsendem Kopfschmerz stellt sie fest, dass ihren nackten Körper nur das Bettlaken umhüllt und nicht der übliche Pyjama. Die Situation spitzt sich zu, als sich neben ihr ein fremder Körper zu regen beginnt. Was geschehen ist, kann man sich ungefähr zusammenreimen, ohnehin beschäftigt Millesi in seiner Novelle die viel spannendere Frage, nämlich die, was als Nächstes passiert. Während die Frau unter der Bettdecke in eine Art Schockstarre verfällt, macht sich der Unbekannte auf den Weg ins Bad. Die Lesenden bleiben mit der Protagonistin unter dem Laken zurück und werden Zeugen einer atemlosen Innenschau, in der sich Angst und Lust über den möglichen Ausgang der Geschichte abwechseln. Eine beklemmende Situation, in der Millesis Protagonistin auf jene Ehebrecherin aus Stefan Zweigs Novelle "Angst" trifft, die Millesi - so zeigt es ein vorangestelltes Zitat - als Inspirationsquelle gedient hat.

Steht der Beginn einer Erzählung für einen ersten Kontakt mit den Erzählstimmen, so steht an ihrem Ende die Frage, was davon bleibt: vielleicht das Gefühl jemanden (oder gar sich selbst) besser kennengelernt zu haben.

Ein dünner Faden

Von Bernhard Strobel

Droschl 2015

152 S., geb., € 19,60

Eulen fliegen lautlos

Von Carolina Schutti

edition laurin 2015

64 S., geb., € 14,90 (Textausschnitt auf Seite 1 dieses booklets)

Venusatmosphäre

Von Hanno Millesi

Edition Atelier 2015

48 S., kart., € 7,95

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