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Kein Fall für Yad Vashem? Fluchthelfer Josef Schleich zwischen Ideal und Wirklichkeit.

In Roman Polanskis jüngstem Spielfilm "Der Pianist" erfährt der polnische Jude Wladislaw Szpilman nach seinem sechsjährigen Überlebenskampf zuletzt überraschend Hilfe durch den Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld. Was die Bilder erzählen, ist verbürgt durch die Autobiographie des im Jahr 2000 in Warschau verstorbenen Szpilman und verweist auf das Ausnahmeverhalten einer kleinen Anzahl von Menschen.

In Berichten von Überlebenden wurden Rettungsgeschichten von Hilfsleistungen für Juden während der Schoa erzählt; sie haben inzwischen auch in Film und Literatur einen festen Platz. Dagegen zeigt sich in der breiten Öffentlichkeit Österreichs und Deutschlands bis heute große Unkenntnis gegenüber den Helfern und den Motiven ihres Handelns. Sie lassen sich nicht in gängige Schemata - etwa solche des militärischen Widerstands - einordnen. Denn ihre Aktivitäten zielten nicht direkt auf den Sturz des Hitler-Regimes oder die Zerstörung einzelner Funktionsbereiche.

Es ging ihnen um die Rettung von Menschen, die zur Ermordung freigegeben, zur Vernichtung bestimmt waren. Die wenigen Helfer haben dazu beigetragen, diesen Plan zu durchkreuzen, und sie zeigten so, dass Widerstand mit oft nur geringen Mitteln möglich war - auch in der Wehrmacht.

"Gerechte unter den Völkern"

Bis in die neunziger Jahre war es, abgesehen von einigen Historikern, nahezu ausschließlich die jerusalemer Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem, die im Rahmen eines gesetzlichen Programms bis heute in Deutschland zirka 400 und in Österreich 83 Personen ausfindig gemacht und geehrt hat (europaweit sind es über 17.000). Als staatliche Einrichtung Israels zeichnet sie seit 1953 Nicht-Juden mit dem symbolischen Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern" aus. Seine Bedeutung für Juden in aller Welt, für ihre Erinnerung an die Schoa und das Bildungssystem in Israel ist vollkommen unabhängig von länderspezifischen Konjunkturen der NS-Vergegenwärtigung und der neueren Aufmerksamkeit für nicht institutionell gebundenen Widerstand.

Wenn etwa Yad Vashem 1964 beschließt, den Wiener Anton Schmidt posthum zu ehren, so ist das etwas anderes als wenn der deutsche Verteidigungsminister im Jahr 2000 die Heeresflugabwehrschule in Rendsburg nach diesem Feldwebel der Wehrmacht benennt und damit ein Zeichen für die staatsbürgerliche Tradition setzt, in der die Bundeswehr sich neu verortet.

Schleichs angebliche Tochter

Als im September bei den "Braunauer Zeitgeschichte-Tagen" die Frage "Wenige Gerechte?" thematisiert wurde, da wurde nicht nur über Anton Schmidt, sondern auch über den Fall Josef Schleich diskutiert. Schleich wird bereits seit zwei Jahren in Print- und Bildmedien Österreichs in den Blick genommen; vom "steirischen Schindler" war die Rede, der bis 1941 etwa 120.000 Juden das Leben gerettet habe (die Furche berichtete am 11. Mai 2000).

In Braunau forderten jetzt einige Historiker, doch allen voran die Buchautorin Hannelore Fröhlich Yad Vashem öffentlich dazu auf, den 1949 verstorbenen Josef Schleich posthum als "Gerechten" zu ehren. Die ehemalige Versicherungsvertreterin Fröhlich hatte in den neunziger Jahren über die Entdeckung von Archivgut zu Josef Schleich ihre Biographie umgeschrieben: Angefangen von der Inszenierung als Jüdin bis hin zu ihrer, von der Familie Schleichs - etwa seinem Sohn Josef Roschker - zurückgewiesenen Selbsterfindung als dessen Tochter. Das fragliche Buch "Spurensuche" (Graz 1999) und die Selbstvermarktung seiner Verfasserin haben maßgeblich dazu beigetragen, dass weniger historische Klärungen als vielmehr Verklärungen und Entstellungen die öffentliche Diskussion dominieren.

"Spurensuche" führt so eher zur Beschäftigung mit Frau Fröhlich und ihren Motiven. Sie sind auch an ihrer persönlichen, inzwischen mangels Interesse jedoch eingestellten Variante des Holocaust-Tourismus abzulesen: Sie bot kostenpflichtige Wanderungen um Leutschnach in der Südsteiermark, um mit ihr die "Spur des Retters aufzunehmen". Leider wirkte ein Teil der Medienöffentlichkeit an dieser Idealisierung sowohl der Person Schleichs wie auch der historischen Ereignisse mit. Dabei hätten schon einfache Nachfragen bei Josef Roschker Aufklärung ermöglicht. Er kann zudem im Unterschied zu Frau Fröhlich (geboren 1940) als Zeitzeuge befragt werden.

Lukrative "Auswanderung"

Andererseits hat Schleich in einem juristischen Verfahren ab 1946, das in der damaligen Stimmung mit einer Verurteilung nach dem Kriegsverbrechergesetz hätte enden können, zu seiner Verteidigung selbst eine abenteuerliche Biographie gestrickt. Dazu gehören Behauptungen wie die, dass er in einem "Strafbataillon" eingesetzt worden sei und als Partisane in Jugoslawien gekämpft habe. Was über Schleich durch umfangreiche Archivbestände in Erfahrung zu bringen ist, wird in der Publikation nachzulesen sein, die Walter Brunner vom steirischen Landesarchiv angekündigt hat.

Leider befasste sich die im Frühjahr 1999 eingesetzte "Historikerkommission der Republik Österreich" bislang nicht mit Hilfsleistungen für Juden oder auch mit den verschlungenen Wegen der Flucht Hunderttausender - in der Sprache der Täter euphemistisch "Auswanderung" genannt. Und leider war diese Kommission auch nicht bereit, Yad Vashem erste Ergebnisse ihres Projekts über die Arbeitsweise der Wiener "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" zur Verfügung zu stellen, die für die Beraubungs- und Vertreibungsmaßnahmen, später auch für die Deportationen zuständig war.

Von der "Zentralstelle" wurde die praktische Durchführung der "Auswanderung" an die jüdischen Organisationen delegiert, denen daran lag, die Betroffenen möglichst vor Schikanen zu schützen und sie mit der Hilfe zahlreicher, zumeist bezahlter, nicht-jüdischer Einzelpersonen sicher über die Grenzen zu bringen. Die Strategie der "Zentralstelle" und ihres Leiters Adolf Eichmann zielte in dieser Phase (1938 - 1941) darauf, die Opfer in die gesamte Abwicklung der Flucht miteinzubeziehen: vollständige Ausplünderung, erzwungene Mobilität, Selbstfinanzierung der Flucht (besondere Dokumente, Steuern, Fluchthelfer und so weiter).

Die nazistische Propaganda feierte die Erfolge bei der "Auswanderung", ganze Regionen wurden für "judenrein" erklärt. Schätzungen zufolge entkamen mit der Hilfe zahlreicher nichtjüdischer Helfer bis 1941 zirka 50.000 Juden über die Grenze zu Jugoslawien.

Großes Organisationstalent

Einer dieser Fluchthelfer war Josef Schleich, der vielleicht bis zu 10.000 Juden aus dem gesamten "Altreich" bis zu seiner Festnahme dabei geholfen hat, ihre erzwungene "Auswanderung" durchzuführen.

Doch nicht wegen "Judenschmuggel" wurde er belangt, was ein vermutlich von ihm selbst fingiertes Dokument der "Kultusgemeinde Wien" (8. Juli 1945) im Nachkriegsverfahren nahelegen sollte. Beschuldigt wurde er wegen "Devisenvergehen", denn bei der Organisation der "Auswanderung" wurde kräftig verdient, allen voran von der Gestapo. Kurz vor dem Angriff auf Jugoslawien, im Frühjahr 1941, wurden die Grenzen geschlossen, die Fluchthelfer hatten ausgedient und viele wurden wie Josef Schleich auf "sanfte Weise" (so der steirische Landesarchivar Walter Brunner) gestoppt.

Josef Schleich war kein politischer Mensch. Vermutlich hätte er auch Menschen in die umgekehrte Richtung transportiert, wenn dabei etwas zu verdienen gewesen wäre. Er hat vielen Menschen durch sein ungeheures Organisationstalent dabei geholfen, den Repressalien und Demütigungen sowie rechtzeitig den drohenden Deportationen zu entkommen. Darunter waren auch zahlreiche Kinder; und vermutlich hat er vielen unentgeltlich zur Flucht verholfen. Der Anzahl der Flüchtenden war zeitweise sehr hoch und Schleich selbst sicher kein guter Buchhalter. Manches werden wir nicht mehr erfahren.

Die Überlebenden haben lange geschwiegen. Einige haben Josef Schleich wahrscheinlich auch nicht als Retter angesehen, als sie Österreich den Rücken kehrten. Viele wurden nach dem Grenzübertritt von ihren Verfolgern eingeholt, deportiert und ermordet. Von den Überlebenden haben einige dafür gesorgt, dass gegen Josef Schleich ein Verfahren eingeleitet wurde.

Fast 50 Jahre später erinnert sich ein anderer, der mit Schleichs Hilfe überlebt hat: Robert R. Weiss. Seine und weitere Zeugenaussagen liegen Yad Vashem vor und möglicherweise wird eine Ehrung ausgesprochen. Sie folgt dem Anliegen einiger Überlebender und wird ausschließlich von der zuständigen staatlichen Kommission auf der Basis besonderer Kriterien entschieden. Wer dagegen in Österreich fordernd nach Israel blickt, um dort einen Prestigegewinn zu erzielen, möge stattdessen im eigenen Land darauf drängen, dass Josef Schleich die ihm gebührende Anerkennung erfährt.

Der Autor ist Mitarbeiter von Yad Vashem Research in Bochum.

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