6881190-1979_10_05.jpg
Digital In Arbeit

Leben für Juden riskiert

Werbung
Werbung
Werbung

Daß Menschen einander in Not beistehen, gilt, obwohl es eher selten der Fall ist, als selbstverständlich. Das hat unter anderem dazu geführt, daß im Zuge der Hitler-Nostalgie von NS-Heldentaten viel, von ihren Grausamkeiten wenig und von denen, die in ihrem persönlichen Alltag Widerstand geleistet haben, kaum die Rede war. Die es taten, haben eines gemeinsam: das Gefühl, darüber nicht sprechen zu müssen, weil es für sie wirklich selbstverständlich war, etwas dagegen zu unternehmen.

Pfarrer Bruno Boguszewsky wurde vor kurzem vom israelischen ,„Yad-Vashem“-Institut zum Gedenken an Märtyrer und Helden durch Medaille und Urkunde geehrt, weil er während des Krieges in Krakau mindestens sieben jüdischen Kindern das Leben gerettet hat. Als zuständiger Matri-kehführer bescheinigte er ihnen polnische Namen. Mit diesen gefälschten Dokumenten konnten beispielsweise die beiden Kinder von Anna Carter, die heute in Colorado (USA) lebt, die Schule besuchen. Frau Carter erinnert sich, daß Pfarrer Boguszewsky für diesen lebensrettenden Dienst nichts annehmen wollte. Bekannt wurde dieser stille, mit Lebensgefahr verbundene Einsatz des Pfarrers erst im Vorjahr: Anna Carter hatte Boguszewsky zufällig bei einem Besuch in Krakau im Jahr 1976 wiedergetroffen und den Fall dem „Yad-Vashem“-Institut bekanntgegeben.

Moritz Daublebsky-Sterneck, der heute in Vomp in Tirol lebt, hat eine ihm nur entfernt bekannte polnische Jüdin und deren in Wien geborene Tochter in Porcice, einem kleinen slowakischen Ort, versteckt. Die beiden Frauen mußten jedoch weg, als das Versteck von Leuten im Ort entdeckt wurde. Es drohte jedem, der Juden half, die Verurteilung zum Tode. Daublebsky-Sterneck begleitete Mutter und Tochter in Wehrmachtsuniform über eine von Deutschen belagerte Brücke.

Die Mutter kam trotz allem in Ra-vensbrück um. Die Tochter, heute Magdalena Livia Halfersen, wohnhaft in Göteborg, ist überzeugt, daß sie nur durch den Einsatz Daubleb-sky-Sternecks überlebte. Über Initiative der überlebenden Tochter erhielt Daublebsky-Sterneck ebenfalls vom Jerusalemer Institut Medaille und Urkunde verliehen.

Aber auch in Wien gab es Menschen, die sich durch den Rassismus des NS-Regimes in ihrer Menschlichkeit nicht beeinträchtigen ließen. Uber die ehemalige Volkstheaterschauspielerin Dorothea Neff hat die FURCHE bereits berichtet. Über diese Veröffentlichung erfuhr die israelische Botschaft, daß auch Dorothea Neff eine Jüdin versteckt hatte. Die Meldung an das „Yad-Vashem“-Institut ist schon unterwegs und in Kürze wird Dorothea Neff ebenso geehrt werden wie dies Ende des Vorjahres bei Maria Potesil der Fall war, die während des Krieges ein elternloses jüdisches Kind annahm und es, allen Schwierigkeiten und persönli-

chen Gefahren zum Trotz, betreut und so gerettet hatte.

Auch Hilde ölsinger, heute 80 Jahre alt, gehört zu den von „Yad Vashem“ Geehrten. Die Mutter von zwei Kindern litt von Anfang an unter den Zuständen im Nationalsozialismus, vor allem unter der Judenverfolgung. Sie hatte 15 Jahre bei der Polizei gearbeitet. Aus dieser Tätigkeit kannte sie viele Juden und wußte, wie ärmlich und anständig die meisten von ihnen lebten. Als gläubige Katholikin drängte es sie, darüber mit ihrem Beichtvater zu sprechen. Eines Tages bat er sie, für das jüdische Ehepaar Storfer eine Unterkunft zum Untertauchen zu besorgen.

Nach mehreren Wochen erfolglosen Suchens resignierte Hilde ölsinger. ,;Da müßte ich Sie ja selbst nehmen“, erklärte sie verzweifelt den unterzubringenden Juden.' Auf diese

iyAus dieser Tätigkeit kannte sie viele Juden und wußte, wie ärmlich und anständig die meisten von ihnen lebten“

Worte, die sie „nur so dahingesagt hatte“ - schließlich wohnte sie mit einem 17jährigen Sohn und einer 16jährigen Tochter zusammen - fiel ihr Frau Storfer vor Dankbarkeit beinahe um den Hals: „Da konnte ich einfach nicht mehr zurück.“

Einige Tage später zog das Ehepaar Storfer bei Hilde ölsinger ein. Ihren Kindern erklärte sie genau, was es mit diesem Ehepaar auf sich hatte; um sie jedoch nicht der Gefahr auszusetzen, Namen zu nennen, galt das jüdische Ehepaar als Onkel und Tante. Mutter, Sohn und Tochter haben, von Frau ölsingers Eltern abgesehen, die gesamte Zeit über zu niemandem etwas gesagt, nicht einmal den nächsten Freunden.

Hilde ölsinger erinnert sich gerne an diese 20 Monate. „Es war das schönste Familienleben, das man sich denken kann.“ Als Herr Storfer an Darmschmerzen litt, ging sie mit ihm nach Einbruch der Dunkelheit zu einem bekannten Arzt, im Sommer führte sie das Ehepaar am Abend in die Schrebergärten spazieren. Als Hilde ölsinger wieder arbeiten mußte, führte Frau Storfer den Haushalt: „Ich bin nur einkaufen gegangen und am Abend habe ich mich an den gedeckten Tisch gesetzt.“

Herr Storfer ist vor etwa acht Jahren gestorben, aber mit seiner nun 85jährigen Ehefrau ist Hilde ölsinger noch heute befreundet. „Das waneine schöne Zeit, gleichzeitig aufregend und leidvoll, aber ich konnte jemandem helfen.“ Die tapfere Frau strahlt auch heute Menschlichkeit, Güte und Gläubigkeit aus. Sie wurde ebenfalls im Herbst vorigen Jahres vom „Yad-Vashem“-Institut ausgezeichnet

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung